Liebe A.,
natürlich möchte ich, dass es Dir gut geht. Ich habe mir immer gewünscht, dass es Dir gut geht. Aber es ist doch nicht nötig, dass Du dazu Geschichten von vor über 30 Jahren ausgräbst. Einmal muss es doch gut sein. Du musst vergessen, verdrängen. Das habe ich mein Leben lang so gemacht. Es ist der einzige Weg. Ehrlich gesagt dachte ich immer, Du könntest Dich daran nicht erinnern. Du warst doch noch so klein. Manchmal kommt es mir vor, als wäre das alles in einem anderen Leben passiert. Aber Du reißt alle Wunden wieder auf, verletzt Menschen, die es gut mit Dir meinen und siehst nicht, dass es doch auch Deine Schuld war. Du machst es Dir schon sehr einfach. Zunächst hätte ich niemals heiraten müssen, wenn ich nicht mit Dir schwanger gewesen wäre. Ich wollte Dich abtreiben aber dann dachte ich, es wäre schon so in Ordnung. Heute bin ich mir da nicht mehr so sicher. Du warst so abweisend und zornig, wie hätte ich Dir zeigen können, dass ich Dich liebe? Ich habe aufgegeben, Dir nahe sein zu wollen. Du wolltest es nicht. Und jetzt fragst Du warum. Das hättest Du Dir früher überlegen sollen. Ich wusste nicht, dass J. (mein damaliger Freund) Dich sexuell belästigt hat. Du hast Dich aber auch immer so geniert und Dich im Badezimmer eingeschlossen. Er wollte nur Dein Bestes. Hast Du ihn denn mal gefragt, warum er das getan hat? Wahrscheinlich hast Du das nur aus Eifersucht initiiert. Du wolltest ja immer die ungeteilte Aufmerksamkeit.
Und die Sache mit O. hättest Du ruhig auch schlucken können. Ja, sie stand damals unter Alkoholeinfluss und nahm Beruhigungspillen. Ich dachte, es wäre gut für sie, wenn Du bei ihr bist. Dass sie Dich beschimpfte und bedrohte, liegt doch nur daran, dass sie nicht zurechnungsfähig war. Das musst Du doch verstehen. Stattdessen reibst Du es ihr unter die Nase, obwohl Du weißt, dass sie nicht mehr lange zu leben hat. Du bist unglaublich rücksichtslos und egoistisch. Auch auf mich hast Du nie Rücksicht genommen. Weißt Du eigentlich, was Du mir damit angetan hast? Jetzt muss ich das ausbaden und Du hast Dich fein aus der Affäre gezogen. Hätte es nicht genügt, ein paar Pillen zu schlucken und all das zu vergessen? Auf mich wolltest Du nie hören, selbst wenn ich es immer gut mit Dir meinte. Diese Schnapsidee mit der Aufarbeitung kommt doch bestimmt aus so einem schlauen Buch. Du hast schon immer zu viel nachgedacht. Jetzt siehst Du, wo das alles hinführt. Die Suppe kannst Du jetzt alleine auslöffeln. Ich will nichts mehr mit Dir zu tun haben.
Deine Mutter
Geht klar, ich verzichte gerne auf Eure sogenannte Unterstützung. Gut gemeint ist nicht gut genug.