Sweet Home Alabama

Wie stellt man eigentlich der Familie einen neuen Partner vor? Ich kann auf diesem Themengebiet nicht wirklich viel Erfahrung vorweisen, weil ich zu turbulenten Zeiten die Freunde schneller als meine Wäsche wechselte. Das hätte meine Verwandtschaft nur unnötig verwirrt zurückgelassen. Da ich aber bereits die Kernfamilie der Gegenseite zu Weihnachten kennenlernte, war ich sozusagen im Zugzwang. Da möchte man dann auch mit dem Stall, aus dem man kommt, einen guten Eindruck hinterlassen. Nicht dass ich mich für meine Familie schämen würde – im Gegenteil, meine Mutter weiß sich durchaus zu benehmen. Und sie kocht vorzüglich. Andererseits sagt sie im Vorfeld am Telefon so Sachen zu mir wie „halte Dich bei Fremden mit Deinen Geschichten ein bisschen zurück, nicht jeder versteht Deinen Humor“ oder „wer weiß, was Du über uns so erzählt hast – hauptsache lustig – aber für uns ist das wohl eher peinlich.“ Dabei habe ich den Mann nur ein bisschen gebrieft, damit er sich nicht wie in einer mündlichen Prüfung fühlt. Ich informiere ihn im Vorfeld ein wenig über Interessen und Vorlieben, warne ihn vor schwierigen Themengebieten und gebe ihm ein paar Tipps an die Hand, wie er Gesprächspausen geschickt umgeht.

Anlass für das gegenseitige Beschnuppern ist eine Übernachtung zum Zweck eines Konzertbesuchs in Stuttgart. Der Mann hat sich ein ordentliches Hemd angezogen, wir organisieren unterwegs noch einen Blumenstrauß und treffen pünktlich vor dem Mittagessen ein. Meine Mutter öffnet die Türe in Kleidung, die als Loungewear verkauft wird. Eigentlich ist es ja eine alte Jogginghose, die sie normalerweise zum Putzen trägt. Als ich sie darauf anspreche, sagt sie, das sei ihr Kochoutfit, und wenn sie Spätzle mache, würde sie sich ja immer bekleckern. Es gibt Gaisburger Marsch. Den essen wir gemeinschaftlich in Loungewear. Ich habe mich noch schnell umgezogen, denn ich liebe Gaisburger Marsch und in die Leggins passt einfach mehr rein als in die Hose mit dem hohen Bund. Der Mann isst nur zwei Teller, ich esse vier. Danach möchte ich liegen. Ausbauchen heißt das übrigens im Herzbruch’schen Jargon – im Urlaub haben wir oft gegessen und noch öfter danach gelegen. Das Gespräch läuft gut. Ich frage den Mann, ob er nicht auch ein Verdauungsschläfchen machen wolle – ich biete ihm quasi eine Rückzugsmöglichkeit aus der Vorführsituation. Er lehnt ab. Ich weiß, dass auch mein Stiefvater gerne mal nach dem Essen ruht. Alle ausser mir wollen aber weiter am Tisch sitzen. Ich vertraue dem Moment und ziehe mich zurück.

Eine Stunde später steht meine Mutter bei mir im Zimmer. Ich solle doch bitte wiederkommen, sie habe jetzt alle Geschichten erzählt, der Mann müsse aber unterhalten werden. Ich weiß, dass der Mann in Gesprächen eher mit affirmativen Worten als mit Eigeninitiative auftrumpft aber das eskalierte dann doch schneller als gedacht. Zurück am Tisch wird Kaffee und Kuchen serviert. Zum Glück trage ich noch die elastische Hose, denn das Käsekuchenstück ist ziemlich groß und die Donauwellen müssen noch oben drauf. Das wird mit Ungläubigkeit quittert, dann redet man über anderer Leute Verhalten. Meine Mutter meint, ich solle doch mit dem Mann spazierengehen, ich möchte mich aber nicht bewegen. Da wir im Auto angereist sind, wird anschließend im Speicher geräumt. Alte Kinderspiele, alte Klamotten und noch ein paar Dinge mehr sollen am nächsten Tag mit uns nach München fahren. Meine übliche Ausrede, ich könne das alles nicht tragen, wirkt nicht. Bevor wir uns für den Konzertabend umziehen, erkundigt sich meine Mutter nochmals ob der Mann auch wirklich keinen Hunger habe. Hat er nicht. Mein Hosenbund spannt. Meine Mutter erkundigt sich, was der Mann wann frühstückt, dann verabschieden wir uns.

Am nächsten Morgen empfängt uns meine Mutter zum Frühstück mit den Worten, es sei jetzt 10.01 und da sei das Hotelfrühstück bereits beendet. Ich drücke dem Mann ein Messer in die Hand, damit er für sein Müsli Obst schneiden kann. Meine Mutter findet, das könne ich für ihn tun. Ich finde, dass er das mit dem passenden Handwerkszeug sehr gut alleine kann. Beide lästern kurz über meine Frühstücksgepflogenheiten – ich esse üblicherweise morgens nix und kriege dann aber gegen 11 Hunger. Dann wird Kaffee aufgesetzt – drei Tassen bitte, eine für den Mann und zwei für mich. Die Tassen sind sehr klein. Meine zweite Tasse landet beim Mann, weil meine Mutter ihm nachschenkt. Er trinkt sie, weil er nicht ablehnen möchte. Ich kriege nix mehr, weil das Frühstücksbuffet schon geschlossen ist. Dafür wird dem Mann die Sahne im Kaffeekännchen kredenzt obwohl er lieber wie ich normale Milch trinkt. Er trinkt jetzt also meine zweite Tasse mit Kaffeesahne. Ich trinke ein Glas Wasser. Dann erfrage ich das W-Lan Passwort für den Mann. Er kommt nicht zum Eintippen, weil jetzt über Autos gesprochen wird. Der Stiefvater bemerkt, das Auto des Mannes sei ein, zwei Klassen besser als seines und er habe es morgens bereits vor dem Haus begutachtet. Weder der Mann noch ich erwähnen den Zweitwagen, später kommt allerdings die Sprache auf das Motorrad. Das führt zur angeregten Diskussion, ob andere mit über 80 noch Peloton fahren sollten. Mein Stiefvater ist 82 und leidenschaftlicher Pelotonfahrer. Er möchte meine Mutter gerne dafür begeistern. Die ist 76 und bekommt davon Rücken. Meine Mutter zieht sich in die Küche zurück. Ich gehe duschen.

Als ich wieder zum Rest stoße, erzählt der Stiefvater von gemeinsamen Reisen mit meiner Mutter. Im Anschluss werden die selbstgeschossenen Fotos präsentiert. Ich habe Hunger, traue mich aber nicht nach der anvisierten Essenszeit zu fragen. Es gibt Fleisch im Schinkenmantel und Spätzle, für mich die vegetarische Variante mit Zucchini, dazu dreierlei Salat. Ich decke den Tisch ein, doch die gewählten Messer sind meiner Mutter nicht schön genug. Folglich wähle ich vier in einwandfreiem Zustand, die später wieder gewechselt werden, weil sie nicht gut schneiden. Man macht sich über mich lustig, weil ich den kleinen Spätzlerest später noch essen möchte. Für eine Portion sei er zu klein aber zum Wegwerfen zu schade, wie ich finde. Dann isst meine Mutter alle Salatreste, denn der kann unter keinen Umständen weggeworfen werden. Nach dem Essen schlage ich einen Verdauungsspaziergang vor. Man möchte heute aber lieber liegen. Wir teilen uns auf. Die Bewegungsfraktion läuft einmal links um die Ortschaft. Danach gibt’s Kaffee und Kuchen. Ich teile mir ein kleines Stück Kuchen mit dem Mann. Meine Mutter findet, er könne ruhig ein ganzes haben. Der Rest wird dem Mann eingepackt. Als wir uns verabschieden, wird der Wunsch nach baldigem Wiedersehen geäussert. Meine Mutter ergänzt, das sei sicher möglich, wenn es der Mann nur lange genug mit mir aushielte. Insgesamt lässt sich somit feststellen, dass eine fremde Person mit mehr Wohlwollen in die Familie aufgenommen wird als das eigene Kind. Man könnte also behaupten, die Familienzusammenführung war ein voller Erfolg.

2 Gedanken zu „Sweet Home Alabama“

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