Seit einiger Zeit denke ich auf dem Thema herum, das erst Herr Buddenbohm auf die ihm ganz eigene Weise famos formuliert vorbrachte und anschließend als Gedanke von der Kaltmamsell aufgegriffen wurde. Über Nichtstun habe ich mir zuletzt während Corona und in jungen Jahren viele Gedanken gemacht. Gedanken, die fast immer mit schlechtem Gewissen oder Scham einhergingen, denn in meinem Umfeld wurde Nichtstun mit Faulheit und anderen schlimmen Charakterzügen gleichgesetzt. Während ich später nach einem Flugeinsatz schlief, hatten Kolleg:innen Kinder oder alte Eltern zu versorgen, absolvierten ein Studium oder arbeiteten im Nebenjob, renovierten Häuser, eroberten unbewohnte Gebiete und entdeckten neue Kontinente. Dabei hätte ich locker wenigstens eine neue Sprache erlernen oder die alte Überoutine wiederbeleben, mindestens aber regelmäßig bloggen können. Schließlich begann ich – getrieben von eben diesem Gewissen – ebenfalls nochmal ein Studium, stand morgens um halb sechs zum Joggen auf, lernte anschließend ein paar Stunden und litt infolgedessen lange unter fehlenden Sozialkontakten. Schon während meines Musikerdaseins bedeutete Müßiggang nichts Gutes, denn es hätte immer noch ein Stündchen Üben irgendwo in den Tagesablauf hineingepasst. Auf jene verpassten Stündchen schob ich unbewusst jegliches Scheitern, obwohl es rational betrachtet daran sicher nicht gelegen hatte.

Irgendwann erfuhr ich, dass bedingungslose und bis zur Selbstverleugnung praktizierte Disziplin den Hochleistenden eigen sei, auch den im künstlerischen Bereich tätigen. Musikschaffende, Tanzende, sie alle ignorieren täglich körperliche Grenzen und zahlen dafür einen hohen Preis. Andererseits, so sagt man, entstünde schöpferische Kreativität nur aus der Leere. Der Raum, der sich bei Langeweile öffnet und der gefüllt werden möchte, den muss man aber erstmal aushalten können anstatt ihn sofort mit Ablenkung zu füllen. Das ist ganz schön schwierig in einer Gesellschaft, die Identität und Selbstwert in Leistung ausdrückt und gleichzeitig Zerstreuung als Mittel gegen unangenehme Gefühle an jeder Ecke bereithält.
Ganz egal war’s mir nie aber meine Gleichgültigkeitsschwelle verschob sich mit den Jahren deutlich nach oben. Wenn ich also jetzt lese, dass Nichtstun der neue heiße Scheiß sein soll, war ich am Ende vielleicht sogar Vorreiterin. Eine, die sich mit Seitenblick auf andere Leben selber so falsch fühlte. Denn Nichtstun, das konnte ich schon als Kind ganz wunderbar. Löcher in die Luft starren, tagträumen, mit den Beinen nach drinnen und draußen baumeln, bevor mir ganz furchtbar langweilig wurde. Inzwischen bin ich zwar von der Idee geheilt, meinen Platz im täglichen Irrsinn mittels Aktivität zu behaupten aber Langeweile finde ich immer noch nicht besonders schön. Meine Therapeutin meinte dazu trocken, das sei besser als garnix spüren, und da muss ich ihr schon recht geben. Auf das obige Bild stieß ich gestern beim Ablenkungsscrollen. Mit einem inneren Nicken und gleichzeitiger Haarsträubung habe ich es hier dazugestellt.
Natürlich kommt der Gedanke aus dem Unternehmerischen im Sinne der Produktivität. Möglicherweise leiden wir aber nicht an den Folgen der Disziplin oder des Versäumnisses, sondern an dieser spezifischen Denkweise.. Warten als Synonym für Stillstand und Zeit totschlagen bis zur nächsten Aktivität. Während meine Arbeit ja sehr viel aus Warten besteht – Warten auf Starterlaubnis, auf die Landung oder auch nur den Bus, der uns zum Hotel fährt – weiß ich, dass ich sie als unangenehmer empfinde, wenn ich sie als die Zeit zwischen zwei Ereignissen betrachte anstatt sie mit den Ereignissen in Form eines stetigen Ablaufs gleichzusetzen. Weg, Ziel, Gandhi oder Konfuzzi, Sie wissen schon. Die Dramaturgie des Lebens besteht halt nicht nur aus Höhepunkten aber das dazwischen – ob als schön oder unangenehm konnotiert – ist die gleiche Zeit, das gleiche Leben. In diesem Sinne wünsche ich gleichmäßiges Zeitverbringen.
Vielen Dank für diesen schönen Text!
<3 Danke
In der heutigen Hektik und alles immer nur noch schneller wird leider viel zu oft der Langeweile gar keinen Platz mehr gegeben
Ein wirklich sehr schöner Artikel. Danke dafür.
Jim Rohn ist überhaupt nicht nach meinem Geschmack, sehr schön wie Du das gedreht hast. Zu deinem abschließenden Gedanken möchte ich aber auch noch etwas Klugscheißendes sagen:
Es macht einen großen Unterschied, ob man Zeit in unangenehm und angenehm einteilt oder in unerfüllt und erfüllt. Letzteres natürlich nach ausschließlich subjektivem Empfinden etwas Wertvolles erlebt oder geschaffen zu haben, nicht nach (äußeren) Leistungsansprüchen.
Ich hoffe, Jim Rohn entdeckt Viktor Frankl, von dem stammt dieser Gedanke. Ich kann die Lektüre seiner Bücher nur empfehlen. Zig Jahre alt, aktueller denn je.
Danke, Karo, für Dein Kompliment. Viktor Frankl kenne ich (Jim Rohn ist seit 16 Jahren tot). Ich praktiziere eher das Konzept „so wenig wertend wie möglich“ und fahre damit sehr gut, denn Kategorien wie angenehm, unangenehm, erfüllt und unerfüllt passieren ja in unserem Kopf. Das Ereignis an sich ist halt was es ist.
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