And the eyes of the World are watching now

Ntarama, Ruanda. Eine ehemalige, kleine Kirche mit roten Backsteinwänden. Ich sitze auf einer der bordsteinhohen Holzbänke und weine. An den Wänden hängen Kleidungsstücke, manche zerrissen, alle mit eingetrockneten Blutflecken. Das sind die wenigen Überreste der ermordeten Menschen, die an diesem Ort Zuflucht suchten und den Tod fanden. Eigentlich bin ich hier am Anfang einer Reise, die mich zu den Berggorillas führen wird. Doch Ruanda steht vor allem für den Genozid der Tutsi, verübt von ihren Freunden und Nachbarn, den Hutu. An diesem dunklen Kapitel kommt kein Besuchender vorbei. Die Kleider, einst von lebendiger Buntheit sind von Leid geprägt und eingestaubt zurückgelassen. Ich stelle mir vor, wem der lilafarbene Schal gehört haben mag. Vielleicht trug ihn eine junge Frau, die mit der Tochter im gelbbetupften Kleid an der Hand an diesen Ort floh, mit tausend anderen angstgepeinigt, weinend und betend verharrte, bis erst Granaten und Schüsse und danach die Macheten ihr Leben auf grausame Weise beendeten. Ich bilde mir ein, die Angst zwischen den engen roten Wänden spüren zu können, höre die Schreie, die Schüsse, sehe das Blut, zerrissene Körper, Gliedmaßen, Eingeweide. Nein, ich kann es mir nicht vorstellen. An einer Wand ein großer, eingetrockneter Blutfleck. Vor 29 Jahren zerschellten an ihr kleine Kinderkörper. Einer aus der Gruppe weicht erschrocken zurück als sich mit der Beschreibung das Bild in seinem Kopf formt.

29 Jahre sind keine lange Zeit. Als Deutsche kenne ich die Berichte über den Holocaust aus meiner Schulzeit. Es geschah vor meiner Geburt. Dieser Genozid ereignet sich 1994, während ich daheim meine Zwanziger durchlebe. Ich erinnere mich an die Berichte in den Achtuhrnachrichten. Ein Volk irgendwo in Afrika, weit weg, die schlachten sich gegenseitig ab. Ich verstehe die Hintergründe nicht, ehrlich gesagt interessiert es mich auch nicht wirklich, denn ich habe andere Sorgen. Überhaupt herrscht ständig irgendwo Krieg, in Afrika, in Israel, in Nepal, in Georgien, sogar ganz nahe in Jugoslawien. Aber auch hier fehlt mir Wissen, um die ganze Tragweite zu erfassen. Ich bin müde, übersättigt, genervt. Mein Innerstes fühlt sich so wund an, mein Selbstwert ist unter Null, wie soll ich mich da auch noch mit politischen Ereignissen auseinandersetzen, die ich sowieso nicht beeinflussen kann? Die Gnade der späten Geburt mit frei gewählter Ignoranz übertünchen, das Gewissen durch laute Schuldzuweisungen überschreien. Am Informationsbuffet überfressen bleibt kein Platz für einen Happen Empathie. You only know when you know, schreibt die Südafrikanische Freundin zurück, als ich am Abend mit Migräne im Bett liege.

Was ich tun kann, was wir tun können liegt auf der Hand. Helfen heißt sehen. Und Verantwortung übernehmen, nicht nur für das eigene Handeln, sondern auch das unserer Mitmenschen. Im Grunde bestehen wir alle aus dem gleichen Stoff, tragen Gut und Böse gleichermaßen in uns. Es braucht eine gewisse innere Reife, um die Zusammenhänge zu verstehen. Diese zu erlangen, erfordert Selbstreflexion. Den steinigen Weg gehen, statt der Bequemlichkeit nachzugeben. Das können wir tun. Die Welt ist das Abbild unseres inneren Chaos. Also räume ich auf, langsam, stetig, fege den Dreck fort und betrachte die Lücken, achte darauf, wer sich drinnen aufhält, wem ich das Wort gewähre, verwerfe unbedachte Reaktionen und ersetze sie durch jene, die sich mit meinen Vorsätzen decken. Wer bin ich, dass ich mit dem Finger auf andere zeige? Ich verurteile nicht, denn ich kann nicht mit Sicherheit wissen, wie ich in dieser oder einer anderen Situation gehandelt hätte. Das ist nicht viel mehr als theoretische Hirnwichserei. Aber dort, wo es heute passiert, kann ich hinsehen, mich fragen, was ich beitragen kann, auch wenn es noch so gering scheint. Und weiter aufräumen, damit die Welt nicht im Chaos versinkt. Damit die wütenden Egos verwundeter Seelen nicht die Herrschaft an sich reissen und immer neue Wunden schlagen. Aber zuallererst, damit meine eigene verwundete Seele nicht um sich schlägt.

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