Dass es in Süddeutschland kalt geworden ist, ist nichts Neues und auch nicht ungewöhnlich für diese Jahreszeit. Dass ich jedes Jahr damit zu kämpfen habe, schiebe ich auf meine Arbeit. Der Herbst ist dazu da, sich an die niedrigeren Temperaturen zu gewöhnen. Wenn mich meine Reisen aber immer wieder in tropische Gebiete führen, bedeutet das einerseits eine schöne Abwechslung zum nasskalten Wetter daheim oder aber eine permanent unabgeschlossene Anpassung. In unseren Dienstvorschriften heißt das, der Körper befinde sich nach einem mehrtägigen Aufenthalt in einer anderen Zeitzone in einem unbestimmten Akklimatisierungszustand. Niemand im Kollegium reisst sich um einen Wochenstopp in Ulan Bator. Schon Toronto ist nicht sonderlich beliebt als Wunschziel im Winter. Dagegen liegen Dubai, Bangkok und Singapur ganz vorne in der Reihe beliebter Ziele. So eines habe ich ergattert, um pünktlich am Heiligabend wieder in der Kälte zu sein.
Dieses Jahr feiere ich Weihnachten mit sieben Menschen, von denen keine Person mit mir verwandt ist. Das bedeutet, ich lehne mich entspannt zurück, während sich um mich herum die üblichen Familiendynamiken entwickeln und lasse gegebenenfalls mal eine kleine Bemerkung vom hohen Ross der Aussenperspektive fallen. Das stelle ich mir sehr unterhaltsam vor. Meine These hierzu lautet: die Organisierenden sind immer gestresst, die Nutznießer oft ein wenig unausgeglichen und der Rest der Gemeinschaft nimmt schweizer Neutralitätshaltung ein. Wenn es dann eskaliert, trifft sie keine Schuld. Das ist, nebenbei bemerkt, ja auch das Thema von Weihnachten. Im alten Testament geht’s ständig um Schuld und Sühne, um Strafe und Vergeltung. Ich erinnere mich an die Geschichte mit Abraham, der seinen Sohn opfern soll, dann aber einen Widder als Platzhalter bekommt. Und das alles, um seine Hörigkeit zu testen.Das habe ich gerade mal nachgelesen, weil ich nicht mehr so bibelfest bin, mir fallen da aber sofort Analogien zur derzeitigen Politik und Weltlage ein. Mit der Geburt Jesu kriegt die Menschheit quasi einen Blankowidder – also eigentlich ein Lamm – müssen dafür aber zukünftig selber denken. Jetzt frage ich mich, wieso zu Weihnachten nach den üblichen Familienstreitigkeiten nicht einfach ein Lamm gekocht und gemeinsam gegessen wird. Stattdessen gibt’s fette Ente oder Karpfen. Liegt sicher daran, dass keiner mehr richtig zuhört.
Das meiste Konfliktpotential entsteht im Familienkreis aus Rangeleien, wer denn nun bestimmen darf. Da ist die Nachfolgegeneration auch im höheren Alter wieder Kind und die Eltern würden wie früher gerne den Ton angeben. Nur haben sich die Tische geändert, unter denen alle Füße stecken. Auch das ist aus der Politik bekannt, wobei autokratische Familienoberhäupter gerne mal von der guten alten Zeit schwärmen. Zur Versöhnung gibt’s eingepackte Devotionalien, dann werden ein, zwei Liedchen von den lieben Kleinen angestimmt, man lauscht mit im Kerzenschein glitzernden Tränchen und schließlich wird der Rest an Gegenwehr im Körper mit Kalorien und Alkohol erstickt. Ein langjährig bewährtes Konzept, bei dem spätestens am 25. alle Teilnehmenden in Plätzchenaromen rülpsend kapitulieren. Festgeklebt wird maximal der Flügel des vom Baum gefallenen Engelanhängers und am 26. fahren alle mit mindestens Tempo 140 heim. Innerer Widerstand ist zwecklos. Und wer jetzt denkt, das sei alles wenn nicht gar völlig überzogen, so doch zumindest total negative Sichtweise, der soll in 10 Tagen gut aufpassen. Ich genieße so lange die eigene Familie aus sicherer Entfernung und wünsche guten Appetit.
(Sollten sie keine Parallelen sehen, empfehle ich Polts Bavarian Democracy)