In the jungle, the mighty jungle

Bis zu sechs Stunden kann der Fußmarsch durch den dichten Dschungel dauern, bis die Gorillagruppe erreicht ist. Meine Achillessehne spüre ich schon nach einer halben Stunde Bergauflaufen, keine Ahnung, ob ich so fünf weitere durchstehe oder irgendwann aufgeben muss. Uns wurde gesagt, dass die Aufregung und Faszination alle Anstrengung vergessen lässt. So konzentriere ich mich auf jeden Tritt, den Blick auf den Boden gesenkt, die Füße dort plazierend, wo meine Trägerin vor mir abrollte. Der Empfehlung folgend, hat jedes Gruppenmitglied Tragende engagiert, die Rucksäcke übernehmen und mental unterstützen. Dafür bekommen sie 20 Dollar, die mich nicht arm machen, den Ansässigen aber eine unverzichtbare Einnahmequelle garantieren. Ich habe zwei Frauen an meiner Seite, denn die Frauen sind hier durch das Bestellen der Felder an den Hängen an die Steigung gewöhnt und stärker als ihre männlichen Kollegen. Später werden sie sich nicht nur über meine Sonnenbrille, sondern auch die Gartenhandschuhe freuen, die ich noch in der Stadt erwarb, weil die vom Veranstalter empfohlenen Gummihandschuhe in den Untiefen meines Rucksacks verschwunden sind. Als es nach etwa eineinhalb Stunden soweit ist und wir den Pfad verlassen, um in sehr unwegsames Gelände hinunterzusteigen, liegen beide Paar Handschuhe noch unberührt im Rucksack.

Ich halte mich an Schlingpflanzen, Ästen und Gras fest, während meine Füße einen halbwegs sicheren Tritt suchen, rutsche manchmal auf den Knien oder dem Hintern dort hinunter, wo ein Silberrücken gerade sein Frühstück verzehrt. Erst als wir ganz nahe sind, erkenne ich einen dunklen Kopf aus dem Dickicht vor mir ragen. Er kaut genüßlich die Blätter von den Ästen und schaut nur kurz in meine Richtung. Mich trennt ein umgefallener Baumstamm von dem Riesen, keine Scheibe, kein Graben. Wenn er sich gestört fühlen würde, könnte er sich mit ausgestrecktem Arm meine Handykamera schnappen. Einerseits stockt mir der Atem beim Anblick des großen Tieres, andererseits spüre ich die Aufregung wie Blasen aus meinem Magen in die Kehle und Augen aufsteigen. Ich weine ein bisschen, weil mich dieser Moment so sehr berührt. Im Hintergrund turnt ein Junges zwischen den Ästen. Der Ranger legt mit einer Sichel das Blickfeld auf das Tier frei. Am Abend zuvor informierte ich mich über diverse Laute, die Gorillas von sich geben, hörte das tiefe Gurren, das wie Rülpsen klingt und ein tiefes guttural unterbrochenes Brummen, das mich an ein wortloses Nein erinnert. Ich bin mutig und intoniere ein hörbares M*mmmh, obwohl ich mir über die Bedeutung nicht sicher bin. Der Gorilla wird’s schon richtig interpretieren. Plötzlich steht er auf, dreht sich von der Gruppe weg und verlässt langsam den Platz. Vielleicht hat er genug von meiner doofen Anmache, eher aber noch von den Blättern. Der Ranger weist uns an, ihm zu folgen. Dem Gorilla ZU FOL-GEN! Wir trotten also dem Riesen hinterher.

Auf einem der Bäume hängen Früchte, zu denen er hochklettert. Wir bleiben unten am Hang. Wieder suchen meine Füße verzweifelt nach festem Stand. Ein Träger packt mich am Arm und zieht, bevor er selbst abrutscht. Als meine Füße einen kleinen Vorsprung ausmachen, drehe ich mich mit dem Blick zu den Bäumen. Was im Videotutorial nicht erwähnt wird, sind die lauten und anhaltenden Flatulenzen der Menschenaffen. Bei jedem Furz, der vom Baum zu uns schallt, kichern wir Beobachtenden wie Schulkinder. Es ist die Aufregung, die sich Gehör verschafft. Beim Gorilla sind es eher täglich 25kg Blattwerk. Ich kenne das von Salat, den ich nach 16.00 esse – natürlich nur an Tagen ohne Flug, Tanztraining oder Dates. Der Silberrücken hat jeden Tag ein Date mit Touristen oder den einheimischen Beobachtenden. Im Astwerk halten sich weitere Mitglieder seiner Familie auf. Wir starren auf die dunklen Körper, die sich lautlos zwischen den Bäumen bewegen. Die anvisierte Stunde vergeht wie im Fluge. Als es Zeit für den Rückweg ist, müssen wir dort steil nach oben klettern, wo wir vorher nach unten schlitterten. Kein leichtes Unterfangen, auch nicht in Bergstiefeln. Ich wundere mich über das Schuhwerk der Tragenden und Ranger. Wie kann man dieses unwägbare Gelände in Gummistiefel bezwingen? Den schmalen Pfad zurück laufe ich sehr beschwingt. Meine Achillessehne hat sich beruhigt oder das Adrenalin puffert meine Schritte ab. So genau weiß ich das in dem Moment nicht, denn alles woran ich denken kann, ist dieses unglaublich majestätische Tier, das da gerade nicht mal zwei Meter von mir weg gesessen hat. Ich habe vor einem Gorilla gestanden. Mit weichen Knien und zugeschnürter Kehle habe ich einen Gorilla beim Fressen beobachtet. Im Dschungel. In Anwesenheit weiterer wilder Tiere bin ich durch das Dickicht gestapft, um einen Gorilla zu treffen. Alter, so schnell kann mir keiner mehr was.

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