Things That I’m Afraid Of

Kürzlich schrieb Frau Novemberregen, dass sie Flugangst hätte. Damit befindet sie sich in guter Gesellschaft. Immer wieder erlebe ich Menschen, die uns beim Einsteigen mit Schweiß auf der Stirn entgegentreten und uns dann über ihre Ängste informieren. Meist kümmern sich die Kolleg*innen rührend um diese Passagiere. Auch ich werde vorsorglich davon in Kenntnis gesetzt. Auf die Frage, was man da tun könne, antworte ich gerne ironisch, man müsse sie dazu bringen, sich auf die positiven Aspekte zu konzentrieren. Beispielsweise würden sie im Falle eines Absturzes nicht alleine sterben. Natürlich sagen wir das nicht wirklich zu den Betroffenen.

Es gab Fälle, in denen die Verängstigten den Abflug erheblich verzögerten, weil sie sich kurz vor Schließen der Türen entschieden wieder auszusteigen. Dann müssen unter Zeitaufwand die Koffer gesucht und entladen werden. So auch eine Portugiesin, die vor ihrer Hochzeit mit einem Japaner allein nach Tokyo fliegen und dort bei der Schwiegerfamilie vorstellig werden sollte. Zunächst sprach ich mit ihr, ließ dann die japanisch sprechende Kollegin übersetzen, wobei diese keine Entscheidung, sondern durch (zu) viel Empathie nur die x-fache Wiederholung derselben Geschichte und damit noch mehr Panik erntete. Wir wollen niemanden zum Fliegen zwingen, weswegen die Dame unter Tränen das Flugzeug schließlich verließ und die Hochzeit verschieben musste. Oder der Professor, der gemeinsam mit Gattin sichtlich nervös das Flugzeug betrat, das ihn zur Universität bringen sollte, an der er einen Vortrag zu halten hatte. Da die Treppe zum Vorfeld noch angelegt war, wir aber mit offener Türe ein wenig länger als geplant auf eine Freigabe warteten, floh er schließlich nach einem kurzen Austausch mit mir über’s Vorfeld, gefolgt von seiner böse Verwünschungen rufenden Gattin. In dem Fall wäre die gemeinsame Reise bestimmt die risikoärmere Variante gewesen.

Nun bin ich keine wirkliche Expertin auf dem Gebiet, verstehe aber, dass sich Ängste nur sehr eingeschränkt rational eindämmen lassen. Wenn der Körper auf eine wahrgenommene Gefahr – egal ob existierend oder imaginär – reagiert, hat der Kopf relativ wenig zu melden. Dagegen helfen entweder Verdrängungs- oder Eindämmungsmethoden. Verdrängung bedeutet in diesem Fall Betäubung durch Einnahme von Medikamenten, Drogen oder Alkohol. Oft praktiziert, führt diese Methode zu Abhängigkeit oder diversen Folgeerscheinungen, die möglicherweise im Flug ärztliche Hilfeleistung erfordern. Insgesamt also keine gute Lösung. Eindämmungsmethoden kommen aus der Verhaltenspsychologie und erfordern Training. Zunächst einmal sollten die Betroffenen lernen, ausserhalb der angsteinflößenden Situation einerseits das Gefühl der Angst auszuhalten, andererseits die innere Angstspirale nicht eskalieren zu lassen, um den eintretenden Panikmodus möglichst zu vermeiden. Das funktioniert auf sehr individuelle Weise, weshalb ich hierfür kein Patentrezept anbieten kann. Manche versetzen sich durch Autogenes Training oder Musik in einen Entspannungszustand, andere benötigen permanente Ablenkung oder Zuspruch. Was hilft, ist die Bereitschaft, sich auf die Angstauslöser einzulassen und durch bestimmte Handlungen erkennen, dass die Angst selbst zwar nicht vermieden aber durchaus beeinflusst werden kann. Denn jede Angst basiert auf dem Kontrollverlust in einer als bedrohlich erlebten Situation. Nach ein paar Übungseinheiten inklusive imaginärer Konfrontation mit den Auslösern kann zur Praxis übergegangen werden. Dafür gibt es Seminare, zu derem Abschluss die Teilnehmenden einen echten Flug absolvieren.

Es kann aber auch sein, dass sich hinter einer Flugangst etwas völlig anderes verbirgt. Die Leiterin eines Flugangstseminars erzählte, es gäbe Menschen, die von ihrer Flugangst profitieren, wie beispielsweise eine Dame, die, im Gegensatz zur restlichen Familie, den gemeinsamen Urlaub viel lieber im Allgäu als auf Mallorca verbrachte. In diesem Fall steht dem Erfolg des Seminares ein Interessenkonflikt gegenüber. Und jetzt verrate ich Ihnen mal ein Geheimnis: ich war selbst von Flugangst betroffen. Ich erwähne das nur selten, weil ich meist ungläubige Blicke ernte. Manchmal merke ich es Kolleg*innen aber an und beginne ein vertrauliches Gespräch, bei dem ich mich offenbare. Nach vielen Jahren kann ich behaupten, dass das Phänomen der Flugangst unter Kabinenmitarbeitenden gar nicht mal so selten ist. Meistens verbirgt sich eine enorme psychische Belastung dahinter, die sich dann in Flugangst manifestiert. Jeder Mensch ist nur bedingt belastbar und Überlastung führt auf Dauer zum Zusammenbruch des Systems. Was liegt da näher als Ängste zu entwickeln, die eine alltägliche Ausübung der Arbeit behindern. Den Druck konnte ich während einer Auszeit abbauen und die Ursachen bewältigen. Die Angst vor dem Fliegen verschwand dann in Folge von selbst. Nur manchmal fühle ich mich bei Starts oder Landungen an bestimmten Flughäfen oder bei manchen Flugstrecken noch etwas nervös. Dann konzentriere ich mich auf etwas anderes, unterhalte mich mit Gästen oder den Kolleg*innen und bin froh, wenn wir – wie immer – gut angekommen sind. Insgesamt empfinde ich die Erfahrung als bereichernd, weil ich mich dadurch in Betroffene zumindest teilweise hineinversetzen kann. Wenn es also ganz schlimm kommt, dann ist Ihre Crew ganz bestimmt für Sie da. Zwischen einem blöden Spruch und echter Empathie geben wir alles, zur Not auch ein weiteres Glas Wein.

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