Workday – Teil 2

Teil 1 ist hier nachzulesen

Takeoff – 70

Auf dem Flieger angekommen verstauen wir unsere persönlichen Sachen und beginnen, die Checklisten abzuarbeiten. Das bedeutet, wir überprüfen systematisch, ob alle Notausrüstungsgegenstände vorhanden sind und funktionieren, prüfen Installationen wie Leuchtstreifen und Notausgangsbeleuchtungen, Toilettenspülungen, Wasserhähne und Klappen. Auch die Passagiersitze werden visuell inspiziert. Befindet sich unter jedem Sitz eine Schwimmweste, an der Seite ein Anschnallgurt und in den Rückenlehnen eine Sicherheitsinstruktion. Bei knapp 300 Sitzen braucht das Zeit. Ich schalte die Kabinenbeleuchtung ein, kontrolliere Temperatur, geleerte Abwasser- und betankte Wassercontainer über die Anzeigen am vorderen Panel sowie das Funktionieren weiterer technischer Installationen. Währenddessen befindet sich oft noch die Putztruppe an Board und das Catering verstaut letzte Wagen oder bestückt die Öfen mit heißen Essen. Das bedeutet, wir müssen über große Mülltüten und Staubsauger springen, die sich an langen Kabeln durch die enge Kabine ziehen oder großen Trolleys ausweichen, die Durchgänge versperren. Sind endlich alle Fremdfirmen von Board, beginnt die Sicherheitsfirma oder die Crew den sogenannten Cabin Search. Hier werden anhand von Listen alle Kabinenbereiche nach potentiell gefährlichen Gegenständen abgesucht. Dadurch soll verhindert werden, dass irgendwo ein Gegenstand versteckt ist, der im Flug als Waffe verwendet werden könnte. Auch das nimmt bei der Größe einer Passagierkabine und unzähligen Winkeln viel Zeit in Anspruch und ist Aufgabe meiner Crew, sollte die Sicherheitsfirma nicht vor Ort sein. Währenddessen nehme ich das Videosystem mit dem Passagiersicherheitsbriefing in Betrieb, überprüfe visuell alle Monitore und versichere mich so, dass auch jeder Passagier im Flug die ausgewählten Filme sehen kann.

Takeoff -55

Meine Kolleg*innen melden mir alle technischen Defekte und Mankos. Das tun sie meist auf Zuruf, was bedeutet, dass ich in diesem Moment viele losen Enden im Kopf behalten muss. Ist das Catering bereits über fehlende Essen informiert? Muss ich das Cleaning nochmal bestellen, um irgendwo nacharbeiten zu lassen? Kann die Technik den kaputten Ersterklassesitz noch in der Zeit bis Boarding reparieren? Hat der Kapitän schon seinen Kaffee bekommen? Und während ich all das manage, ruft das Gate an, um zu erfragen, ob bestimmte Sitze geblockt werden müssen, weil dort die Elektrik oder das Entertainment nicht geht und wann wir einsteigen lassen können. Die Klarmeldung zum Boarding läuft über ein System. Verpasse ich die Zeit für eine Unklarmeldung, stehen die Passagiere bereits vor der Türe während wir noch letzte Vorbereitungen abschließen. Das ist vor allem im Sommer unangenehm, wenn die Flugzeugbrücke durch die Sonne stark aufheizt. Die Technikleute bestelle ich nur, wenn die Schäden gravierend sind und in einer Zeit behoben werden können, die unseren geplanten Abflug nicht gefährden. Für mich als Laiin ist das meist nicht einzuschätzen. Icch renne also von ganz hinten nach ganz vorne und berate mich mit dem Kapitän. Der gibt mir einen engen Slot – ein von der Flugsicherung berechnetes Abflugzeitfenster – zu bedenken und schickt mich wieder nach hinten. Folglich ist es meine Entscheidung mit dem Blick auf Wirtschaftlichkeit, denn ein verspäteter Abflug generiert mehr Kosten als eine Kompensation, die ich den betroffenen Gästen für diverse Ausfälle zukommen lasse. In den Coronajahren hatte ich übrigens überhaupt keine andere Kompensationsmöglichkeit als mein bezauberndes Lächeln. Damit dem aufgestauten Ärger eines Gastes standzuhalten, erfordert viel Kraft. Dummerweise war damals auch sehr viel kaputt, weil sowohl Leute als auch Material fehlten, und wir flogen mit sehr viel Magengrimmen durch die Gegend.

Takeoff -45

Spätestens jetzt sollte ich zum Boarding klarmelden. Das Gate ruft mich an und möchte wissen, ob sie die Betreuungsgäste – Menschen, die vom Betreuungsdienst mit oder ohne Rollstuhl gebracht werden und Familien mit Kindern – schon losschicken können. Der Kapitän steht währenddessen neben mir und teilt mit, dass ihn das Gate angerufen hätte, ob es denn bald losgehen könne. Die Gatemitarbeiter wollen die Gäste so schnell wie möglich losschicken, weil sie unterbesetzt sind und 40 Minuten später an einem neuen Gate sein müssen, haben aber immer Kapazität, dieselbe Frage über zwei verschiedene Telefone zu stellen. Die Kollegin von vorne steht neben uns und möchte irgendwas wissen, das sie selbst nachschlagen könnte. Da mein indianischer Name aber Die alle Antworten kennt lautet, fragt sie lieber mich als ihr Ipad zu suchen. Ich suche meine Brille und mein Ipad, das irgendwo zwischen ganz hinten und ganz vorne im Flugzeug liegen muss. Hinten habe ich es abgelegt, als ich die drei Wasserflaschen für die Cockpitbesatzung holte, meint der Kollege am internen Telefon. Also bitte ich ihn, es zu bringen, was er nur ungern tut, da ja gleich das Boarding beginnt und dann Gänge durch Gepäck und Meinschen verstopft sind. Ich bin leicht genervt, weil ich eigentlich seit 30 Minuten dringend auf die Toilette muss.

Takeoff -40

Die Hölle Das Boarding ist offen, die ersten Gäste – meist Betreuungsbedürftige – betreten das Flugzeug und das Chaos beginnt. Währenddessen sollen wir freundlich lächeln und ruhig wirken, innerlich sind aber alle angespannt. Die Mehrzahl der Gäste findet ihren Sitzplatz auf Anhieb (Halleluja, praise the Lord), einige äussern ihren Unmut über neu zugewiesene Plätze, an der Sicherheitskontrolle oder am Gate vergessene Gegenstände, lange Wege oder Wartezeiten, manche sind jetzt schon um ihre Anschlussflüge besorgt. Die Kolleg*innen an den offenen Türen zeigen den Gästen über welchen Gang sie am schnellsten zu ihrem Platz gelangen. Dafür benötigen sie den auf der Boardingpass ausgewiesenen Buchstaben, nicht die Zahl. Beides ist wegen der unterschiedlichen Bordkarten – DinA4 Ausdrucke für mehrere Flüge, kleine Schnipsel oder längliche Papiere, Appanzeigen, you name it – manchmal nicht auf einen schnellen Blick zu erfassen. Bitte antworten Sie auf die Frage nach ihrem Sitz also nicht nur mit 25, sondern mit 25E. Damit erleichtern Sie uns die Arbeit sehr, denn die Frage nach der Bordkarte betrifft 200 weitere Passagiere nach Ihnen.

Takeoff -30

Ich halte mich vorwiegend in den höheren Klassen auf, begrüße Vielflieger namentlich, nehme interne Telefonate entgegen und beobachte das Geschehen aus den Augenwinkeln. Die Kollegin holt mich aus einem Gespräch mit einem Gast, weil einer beim Einsteigen auffällig blass, unverschämt oder merklich alkoholisiert war. Den muss ich mir näher ansehen, damit sein Zustand nicht später zur Gefährdung einer sicheren Flugdurchführung wird. Oder sie informiert mich über einen defekten Sitz, den ich mit geschicktem Griff repariere, die elektrische Steuerung resette und gegebenenfalls die Technik nochmal einbestelle. Mein Diensthandy klingelt zeitgleich mit dem internen Ruf. Ich nehme erst den Hörer an der Flugbegleiterstation, sage ich rufe zurück und lasse mir vom Gatekollegen über einen schwierigen Vorfall oder eine Nachbestellung berichten. Ein paar Minuten später rufe ich oben an, weil eine Doppelbelegung vorliegt. Gleichzeitig steht eine Gatemitarbeiterin an der Türe, um sich von der Anwesenheit eines Passagiers zu überzeugen. Ich rufe den Gast über Lautsprecher aus und bitte dann die Kolleg*innen in der Nähe des Sitzes über Telefon, sich von dessen Anwesenheit zu überzeugen. Ist dieser Mensch nicht an Board, muss sein Gepäck gesucht und wieder ausgeladen werden. So will es das Fluggesetz. Alle Vorgänge sind verständlicherweise zeitnah zu erledigen, um keine Verspätung zu generieren, und so zwingend wie mein Harndrang. Den verschobenen Anruf von vorhin habe ich höchst wahrscheinlich bereits vergessen, meine Crew kämpft sich dann gegen den Passagierstrom an Handgepäck vorbei nach vorne, um mir persönlich mitzuteilen, was vorher so wichtig war. Ach so, nee, die dürfen ja ihre Türen wegen möglicher Evakuierung nicht verlassen aber der Passagier hat mit seinem Anliegen so genervt, dass sie es trotzdem tun. Ich muss dann ein bisschen schimpfen, bevor ich die Sache kläre.

Takeoff -10

Die meisten Passagiere sitzen, in den höheren Klassen werden Jacken in die Garderobe gehängt und Begrüßungsgetränke gereicht, im gesamten Flieger die Gepäckfächer geschlossen. Der Kapitän macht eine Ansage bevor ich mich ebenfalls über Lautsprecher vorstelle, die Flugzeit nenne und Sicherheitshinweise gebe. Die Flugzeugtüren sind jetzt zu, es sei denn ich halte sie noch offen, weil ich mit einer Person noch eine Meinungsverschiedenheit bezüglich dessen Verhalten zu klären habe, damit sie uns gegebenenfalls wieder verlassen kann. Das kommt gar nicht mal so selten vor. Nach dem Schließen werden die Türen in Flight gestellt und so die Notrutschen beim erneuten Öffnen aktiviert. Wenn alles geregelt ist, starte ich das Sicherheitsvideo, seufze einmal tief und trinke einen Schluck Wasser bevor ich auf die Toilette gehe.

Takeoff -5

Die Fluggstbrücken sind abgezogen, die Blöcke vor den Reifen entfernt und das Flugzeug setzt sich in Bewegung (Halleluja, praise the Lord). Die Crew checkt, ob alle Gäste angeschnallt sitzen, sammelt letzte Gläser ein und verriegelt alle Türen und Boxen, überprüft, dass die Sicherheitsknebel vor möglichem Verrutschen schützen und dass sich niemand mehr auf den Toiletten befindet, bevor auch sie sich hinsetzt, anschnallt und mir die Klarmeldung mitteilt. Ich passe das Kabinenlicht an und drücke einen Knopf, damit auch die Cockpitcrew weiß, dass in der Kabine alles klar zum Takeoff ist. Dann schnalle ich mich an. Die Pilotdurchsage prepare for takeoff bedeutet, dass jetzt gleich das Gas reingeschoben wird und wir unseren sogenannten 30 second review machen sollen. Während die Maschine Fahrt aufnimmt, antizipieren wir im Kopf das Evakuierungsszenario inklusive Kommandos und Notausrüstung, weil wir selber 90 Sekunden nach Wumms auch gerne draussen wären aber idealerweise dort nicht ohne die restlichen Gäste ankommen sollten.

Takeoff

Ich schaue auf die Uhr und berechne unsere ungefähre Landung anhand der vorgegebenen Flugzeit. Dann lächle ich meiner Kollegin zu, die entweder neben mir oder gegenüber sitzt, gebe ihr ein highfive und beginne mit meiner Serviceansage.

Sollten Sie noch Fragen haben, dürfen Sie sich jederzeit an uns wenden… (oder stellen Sie die in den Kommentaren)

15 Gedanken zu „Workday – Teil 2“

  1. Vielen Dank! Das war super interessant und informativ. Als Fluggast bekommt man ja nur einen Bruchteil davon mit. Wenn jetzt ein Flugzeug landet und danach gleich wieder „zurück“ fliegt, wie viel Zeit bleibt dann für alles? Fliegt die gleiche Crew zurück, findet ein Wechsel statt?

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    • Die Crew steigt nach einem Langstreckenflug aus und eine neue kommt. Stellen Sie sich vor, Sie fliegen 8-12 Std. und können davon nur 1-3 Std ruhen, dann geht das nicht 2x hintereinander. Ich schreibe vielleicht doch noch einen Teil 3…

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      • Vielen Dank. Das ist einleuchtend. Ein dritter Teil wäre toll. Ich dachte bei meiner Frage eher an Kurzstrecken. München-Frankfurt oder ähnliches.

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  2. Vielen Dank, das ist sehr spannend! Ich würde mich auch über einen Teil 3 freuen – was passiert nach der Landung, bis Sie Feierabend haben, und wie sieht der aus?

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  3. Puh, das ist ganz schön komplex! Da ist zwar sicher viel Routine dabei, aber dennoch. Prozessabläufe aus anderen Berufen läsen sich vermutlich ähnlich komplex und anspruchsvoll, wenn jedes Detail erwähnt wird. Da bei der Fliegerei immer ein besonderer Sicherheitsaspekt zu beachten ist, aber wohl doch besonders anspruchsvoll. Dazu würde mich noch interessieren, ob in dem Ablauf der beiden Blogeinträge etwas aus Diskretions- oder Sicherheitsgründen ausgelassen wurde, werden musste? Ich habe zum Beispiel einen Job, in dem so viele Aspekte absoluter Diskretion und Geheimhaltung unterliegen, dass ich gar nicht erst davon anfangen kann, irgendetwas auszuführen. Der erwünschte dritte Teil zur Landung und dem Ende eines solchen Arbeitseinsatzes würde mich auch noch interessieren. Dankeschön!

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  4. Du schreibst gleich zu Anfang über das Handgepäck und die Koffer der Crew. Mir fliegt seit der Austrlienreise immer wieder eine Instawerbung um die Ohren, die sich darauf behaupten diese Gepäckstücke herzustellen. Ist das so? Es sieht zumindest so aus dass Crewmitglieder alle die gleichen Gepäckstücke haben. Es sähe zugegeben auch seltsam aus, wenn jeder mit seinem individuellen Mickey Mouse Koffer antreten würde. 😉
    https://luggageworks.com/default/

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