Falling Leaves

Wie mir heute ein Artikel über die Gefährdung der heimischen Igel unterkam und ich unweigerlich an diesen einen Herbst denken musste, in dem meine Mutter einen umherirrenden Igel zum Überwintern aufnahm. Ich muss im Kindergartenalter, also etwa 4 oder 5 gewesen sein. Bezeichnenderweise erinnere ich mich an nicht sehr viel aus meiner Kindheit – das ist so ein Traumading. Aber ich erinnere mich, dass ich immer gerne ein Haustier gehabt hätte, eines mit Fell und Leine. Kein Wunder, denn damals lief in den einzigen drei Fernsehprogrammen in Dauerschleife Lassie oder Flipper neben Bonanza und den Waltons. Und auf dem (amerikanischen) Land waren Tiere ein Teil des Lebenserwerbs. Wir wohnten damals zwar ländlich, in einer Mietwohnung jedoch eingeschränkt. Für einen großen Hund hat der Platz nicht gereicht, geschweige denn die Betreuungsmöglichkeit. Gassi geht man nicht nach Laune, sondern nach Bedürfnis des Tieres. Das Thema war schnell durch. Dann kam der Herbst und mit ihm die Blätterberge im Vorgarten.

Irgendwann fiel uns ein Igel auf, der tagsüber zwischen den Blättern herumrannte. Meine Mutter versuchte, das Tier mit bloßen Händen einzufangen. Das tut sie übrigens bis heute mit allen Krabbeltieren – Frösche, Käfer, Spinnen, you name it – und setzt sie dann draussen aus. Der Igel tat, was ein Igel tut und rollte sich ein. Seine Stacheln waren für nackte Hände aber herausfordernd,. Ich besaß damals dieses sehr kratzige Kopftuch, das in meinen Augen seinen Zweck zum Igeltransport besser erfüllte, als es auf meinem Kopf jemals getan hatte. So trug sie den Igel im Tuch nach drinnen und setzte ihn in einen Karton. Später wurde er gebadet, der Flöhe wegen, bekam Wasser, Nahrung und Stroh und durfte eine Weile bei uns wohnen. Abgesehen von Betrachten aus der Ferne, hielt ich lieber Abstand. Möglicherweise lag das an einem Erlebnis mit einem Hamster, der mir mal durch den Fingernagel gebissen hat. Irgendwann hat meine Mutter den Igel dann wieder ausgesetzt. Das Kopftuch musste ich übrigens nie mehr aufsetzen.

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Das Thema Zeitumstellung hat für Fliegende eine ganz andere Bedeutung als für Fußgänger. Wir rechnen ja sehr wenig in Lokalzeit (LT) und sehr viel in UTC. Universal time coordinated bedeutet für deutsche Zeit im Sommer +2 und im Winter +1. Es gibt Länder, in denen die Zeitumstellung ein paar Tage später stattfindet als in Europa und solche, die überhaupt nicht umstellen. Das muss man für die Eingabe der Weckzeit wissen. Einen zuverlässigen Biorhythmus besitzen Fliegende sowieso nicht. Früher richtete sich meine Schlafenszeit nach Müdigkeit. Heute bin ich zwar oft unfassbar müde, kann aber trotzdem nicht schlafen – egal, ob +2 oder – 9. Einmal im Monat schlafe ich nach durchflogener Nacht daheim 8 Stunden am Stück, stehe abends auf, koche Suppe und lege mich danach nochmal für 6 Stunden schlafen. Wenn das nicht funktioniert, muss ich mich leider nach drei Umläufen krank melden, denn dann sehe ich trotz Schminke nicht nur scheiße aus, sondern habe neben Schwindel, Kopfweh und Gedächtnislücken auch unfassbar schlechte Laune. Keine Ahnung wie Alleinerziehende oder betriebsjunge Angestellte das machen, die durch die geringen Einstiegsgehälter noch in Nebenjobs arbeiten. Mir fällt es auch ohne zusätzliche Verpflichtungen mit zunehmendem Alter immer schwerer.

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Darf man offen zugeben, dass der Beginn des Herbstes gleichzeitig eine gewisse Erleichterung bedeutet? Nicht mehr ständig super Wetter ausnützen müssen, keine Ausreden für komplette Drinnentage bemühen. Vor allem aber keine Hitze mehr, die mich über so viele Tage völlig lahmgelegt hat. Dunkel erinnere ich mich an die Tage, als noch die letzten Sonnenstrahlen am See genutzt und durch Urlaubsreisen ans Meer das Sommerfeeling verlängert werden wollte. Die jetzigen Herbste sind anders, leiser und gleichzeitig leichter. Als ob eine unmerkliche Übereinkunft mit der Vergänglichkeit das grell aufbegehrende Leben langsam überdeckt. Dann beginnt das Einnisten in die Erinnerungen.

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Tout doucement, sans faire de bruit

2 Gedanken zu „Falling Leaves“

  1. Natürlich darf man sich freuen, dass der Herbst da ist. Am letzten heißen Sommertag, der mit krachendem Gewitter und krassem Temperaturabfall in Norddeutschland im September war, sind mir während des Gewitters gefühlt 1000 Steine vom Herzen gefallen. Ich konnte wieder atmen.

    Wünsche einen Herbst mit schönen Momenten. Im jahreszeitlichen und Lebensverlaufsinn.

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  2. >Darf man offen zugeben, dass der Beginn des Herbstes gleichzeitig eine gewisse Erleichterung bedeutet? Ganz bestimmt. Erleichterungen darf man wohl immer zugeben; und die hier ist ohnehin gut nachvollziehbar.

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