It’s Not True

Kürzlich wollte mir ein Vater weismachen, dass er viel besser als ich wüsste, was für seine Kinder im Fall der Fälle an Bord sicher sei. Einerseits verstehe ich den natürlichen Instinkt, die Brut vor Gefahren zu beschützen. Zudem gibt es Vorschriften, die in ihrer Ausführung auf den ersten Blick eher unlogisch scheinen. Das Fahren ohne Anschnallgurt oder Helm ist inzwischen in weiten Teilen der Bevölkerung akzeptiert, während man sich Dekaden lang dabei nichts dachte. Im Flugzeug schnallen sich die Leute auch oft aus falscher Einschätzung schon ab, während es noch zur Parkposition rollt, oder unterschätzen die Wirkung von plötzlich auftretenden Turbulenzen. Da kommen wir dann in’s Spiel, das doofe Flugpersonal, das auf den offenen Gurt hinweist. „Jaja, nicht so schlimm, blabla, dann schließe ich den halt wieder“ wird mit Plafonblick gemurmelt. Kein Mensch würde sich während eines Achterbahnloopings abschnallen oder bei einem Bungeesprung schon mal vor Ankunft ’nen Gurt lösen. Dabei ist die Heftigkeit durchaus vergleichbar. Bei sehr wenigen Vorschriften denke ich mir still, das ist vor allem so umzusetzen, weil die Versicherung im Schadensfall aus ihrer Haftung raus ist.

Die Sache mit den Kindergurten ist so ein Beispiel. Jahrelang hat man Eltern erklärt, ihr Kleinkind – die Bezeichnung für alles unter zwei Jahren – sei bei einem Frontalcrash am sichersten, wenn das Kind mit einem Gurt gesichert ist, der an dem des Erwachsenen hängt und auf dem Schoß zu halten sei. Dann fand man bei Tests heraus, dass das Baby safe durch den vorgeschleuderten Oberkörper des Erwachsenen gequetscht und damit verletzt würde. Die sicherste Methode für den Transport eines Kleinkindes im Flugzeug ist übrigens ein eigener, vom Luftfahrtbundesamt zugelassener Kindersitz, für den aber ein Sitzplatz gekauft werden muss. Wem das zu teuer ist, der setzt das Kind eben statt mittig seitlich auf ein Bein. So wird das Kind bei starkem Abbremsen wenigstens nicht vom eigenen Körper zerquetscht. Und nein, das Kind kann NICHT einfach ohne eigenen Gurt gehalten werden, auch wenn sich KevinJames dagegen mit Händen und Füßen wehrt oder LisaMichelle gerade so schön schläft.

Zwei Dinge sollten jedem Fluggast bewusst sein: erstens ist Flugpersonal in Sachen Sicherheit sehr gut geschult und zweitens tun wir uns schwerer, einen Menschen dreimal auf einen Mißstand hinzuweisen, als es nicht zu tun. Wir sind nämlich im Anforderungsprofil sehr harmoniebedürftig. Es ist unwahrscheinlich, dass wir etwas tun, nur um einen Passagier zu ärgern. Umgekehrt kommt sowas schon öfter vor. Womit wir bei der Eingangssituation wären. Da ist also dieser amerikanische Vater, der mit seinem vierjährigen und seinem zweijährigen Sohn reist. Die weibliche Begleitperson ist in diesem Szenario mal zu vernachlässigen, weil sie sich raushält. Unsere Businessklasse weist bestimmte Plätze aus, die für mit Kindern Reisende bestimmt sind. Diese neuen Vorschriften bringen vor allem das Bodenpersonal an Tagen mit vielen reisenden Familien regelmäßig zu Schweißausbrüchen. An jenem Ferientag sind es drei große Familien neben weiteren paarweie Reisenden, denen Sitzplätze zugewiesen werden müssen. Der Vater hat sich sehr schnell einen Überblick verschafft und seinen Platz mit einer Alleinreisenden getauscht. Er möchte nämlich auf dem Platz über den Gang neben seinem Vierjährigen sitzen statt direkt hinter den beiden Kindern. Als ich hinzukomme, rechne ich mit einem Fehler am Gate und erkläre ganz geduldig, dass er normalerweise hinter den Kindern sitzen müsse, da bei einem Druckverlust der Schlauch seiner Sauerstoffmaske nicht über den Gang reiche, hinter den Kindern aber sehr wohl lang genug sei, um ihnen behilflich zu sein. Wir erinnern uns: erst die eigene Maske aufsetzen, danach anderen helfen! Er findet das sehr unpragmatisch, da die Wahrscheinlichkeit ja doch sehr gering sei und er dagegen von seinem jetzigen Platz aus das Kind viel besser unterstützen könne. Ich eroiere mit einem Blick auf meinen Sitzplan, dass der Fehler nicht beim Checkin geschah. Also bitte ich den Mann erneut, doch lieber zurückzutauschen, denn das sei für alle Beteiligten sicherer. Er hingegen findet immer noch, dass das Quatsch sei, fügt sich aber meiner Anweisung unter der Bedingung, dass die Fremde sein Kind vor dem sicheren Tod schütze, sollte der Kleine an einer Erbse ersticken oder irgendwas anderes, was ich nicht verstanden habe. Die Frau hört die ganze Zeit zu und nickt. Nach erfolgtem Tausch äussert er unüberhörbar, was er sowohl von den Sicherheitsvorschriften als auch meiner Fluglinie hält. Meinen Einlenkungsversuch bügelt er nieder, er wolle jetzt keine Erklärungen mehr hören. Ich akzeptiere das und gehe. Kurze Zeit später möchte er mich in meiner Rolle als Vorgesetzte sprechen. Da er nun keine Erklärungen mehr möchte, höre ich ihm zu, nicke ab und zu und bestätige am Ende mit „got it“. Noch einmal hakt er nach, ob ich das jetzt wirklich kapiert hätte, dass meine dummen Vorschriften absoluter Quatsch seien und total unsafe. Ja, das habe ich verstanden. Ob ich ihm eine Frage stellen könne, sage ich, und ob er wisse, dass sein Gehirn zum Funktionieren Sauerstoff braucht. Ja, meint er zögerlich. Dann sei ihm ja wohl auch klar, dass er seinem Sohn vom anderen Sitz aus eben nicht helfen könnei. Während er diese Info noch verarbeitet, gehe ich und bereite meine Crew auf komplizierte Interaktionen vor. Denn solche Passagiere lassen uns gerne unsere „Unfähigkeit“ anderweitig spüren. Manchmal geht mir diese Rechthaberei so auf den Senkel. Aber echt ey!

4 Gedanken zu „It’s Not True“

  1. Das erinnert mich sehr an meine Kundschaft, der ich mitunter von gewissen Vorhaben abraten muss. Leider machen sie doch oft das Gegenteil von dem, was ich ihnen geraten habe. Wenn es dann nicht funktioniert, dann bin natürlich ich schuld. Aber damit lebt man, wenn man mit Kundschaft zu tun hat.

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    • Leider kann ich meine Passagiere nicht einfach machen lassen. Ich bin für die vorschriftsmäßige Ausführung verantwortlich. Das ist vor allem mit Menschen schwierig, die sich gewohnheitsmäßig nichts sagen lassen. Männer im mittleen Management beispielsweise oder sonstig Privilegierte.

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  2. Mittleres Management. Ich kann sie mir so gut vorstellen. Wenn sie nicht bestimmen können, drehen sie durch. Sie weich in ein Federkissen laufen zu lassen, ist die beste Strategie.
    Eine Kollege hatte auf einem Langstreckenflug ein schreckliches Erlebnis. Es kam zu Turbulenzen, das Flugzeug sackte ab und alle nicht angeschnallten Menschen flohen durch die Kabine. Es hab einige Schwerverletzte und einen Toten.
    Die Vorschriften haben ihren Sinn. Die armen Kinder, wenn ihr Vater das nicht einsieht und nur Recht haben will.

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    • Einerseits passiert sowas zum Glück sehr selten. Andererseits können die Leute eine Gefahr nur einschätzen, wenn sie es mal selbst erlebt oder die Folgen gesehen haben. Diese Alles-Besser-Wissen und Sich-Nix-Sagen-Lassen-Mentalität wird immer schlimmer.

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