Zack Zack

Es gibt so Tage, da lohnt sich das Aufstehen nicht. Wenn sie mir daheim passieren, bleibe ich einfach liegen oder ziehe höchstenfalls eine unförmige Jogginghose an, damit der Paketbote sofort erkennt, dass ich mein Leben nicht unter Kontrolle habe. Eigentlich ist es oft nicht mal mein Leben, sondern die Hormone, die mich kontrollieren. Schlimmstenfalls denke ich dann eine Weile über die Ursache nach. Wenn ich neben meiner schlimmen Kindheit oder der allgemeinen Weltlage keine Ursache greifen kann und auch Jammern auf sozialen Kanälen nur kurz ablenkt, finde ich mich damit ab, das dieser Tag für die Tonne war. Anders ist es bei meinen Kurzaufenthalten an fernen Orten. Da raffe ich mich irgendwann doch auf, schlüpfe in sozialtaugliche Kleidung und begebe mich nach draußen. Das Blöde ist nämlich, dass die Kollegen spätestens kurz vor dem Rückflug fragen, ob man denn im Layover was Schönes gemacht hat. Diese Frage ist unter keinen Umständen zu verneinen, da sie leider nicht wie in Amerika nur aus formaler Höflichkeit gestellt wird. Es folgen dann viele weitere Fragen, die ich wiederum weder wahrheitsgemäß beantworten noch sie abwiegeln will.

In San Francisco wurde ich letzthin auf der Straße von einer uniformierten Person gefragt, ob denn alles in Ordnung mit mir sei. Da musste ich kurz nachdenken, wieso ich einen unpässlichen Eindruck zu verbreiten scheine und ob ich die Frage bejahen könne. Zack, sofort schlechte Laune. In Rio braucht man ohne Liedchen auf den Lippen überhaupt nicht vor die Türe und in Bangkok ist es sowieso verpöhnt, irgendwelche Gefühlsregungen nach aussen zu tragen, weil man damit nur seine Mitmenschen belastet. In München hingegen fühlt sich meine schlechte Laune im ÖPNV unter all den Grießgrämigen sehr gut aufgehoben. Ich bleibe aber trotzdem lieber zuhause, denn Gefühlsverstärker sind mir dann doch zu masochistisch.

Anstrengend ist es auch, mehrere Tage nicht produktiv zu sein. Das heißt im Klartext, während andere neben familiären Verpflichtungen ein irres Arbeitspensum ableisten und sich darüber beklagen, bin ich quasi illegal müßig. Das darf auf gar keinen Fall sein, denn dann bekomme ich sofort ein schlechtes Gewissen und kann im Gegenzug mit niemandem darüber kommunizieren, weil ja sofort nach diversen Aktivitäten gefragt wird. Wie gerne würde ich die Frage: „Was hast Du Schönes gemacht?“ mit „existiert“ beantworten, was wie ein Affront für die fragende Person schmeckt. Schließlich hat sich das Gegenüber den ganzen Tag entgegen der eigenen Sehnsüchte gequält und sich so eine Berechtigung zur Existenz aber auch zur Klage erarbeitet. Ich hingegen darf mich nicht beklagen, denn ich hätte ja soviel Zeit gehabt, wäre ich nur Frau über meine eigene Faulheit gewesen. Tja, da hilft nur die Flucht nach vorne. Migräne, Jetlag oder Schlaflosigkeit aus anderen Gründen sowie körperliche Malaisen helfen aus der Fragefalle – Obacht, Wechseljahrsbeschwerden zählen nicht zu den sozial anerkannten Entschuldigungen, ich wiederhole, auf garkeinen Fall irgendwas mit Hormonen erwähnen. Dagegen gibt’s nämlich von Globuli bis Ersatztherapie einiges einzunehmen. Will ich nicht? Selber Schuld. Zack, schlechte Laune.

Und was ist mit Wintergrau? Dagegen helfen weiße Vorhänge. Die ziehe ich gegen Mittag zu und mich mit einem Warmgetränk unter die Decke. Schon hab‘ ich gar keine Laune mehr – keine schlechte und keine gute. Bis halt so ein besorgter Mitmensch fragt oder ich mich, wann ich denn zuletzt die Bettwäsche gewechselt …

2 Gedanken zu „Zack Zack“

  1. Ich habe auch ein bisschen das Gefühl, mich rechtfertigen zu müssen. Zwar bin ich nicht in Rio oder San Francisco, aber im Sabbatjahr, auch ein schöner Ort. Das Gefühl hält sich aber arg in Grenzen, für mich reicht „existieren“ völlig. Allerdings geht es mir gut dabei, das klingt hier leider nicht so.

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    • Nun, ich möchte nicht nur sitzen. Dafür habe ich zu viel überschüssige Energie. Andererseits ist es ganz schön schwer, mir selbst Untätigkeit zu erlauben. Daher das drängende Gefühl, ohne Leistung nicht gut genug zu sein.

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