It’s Okay Not to Be Okay

Seit der Rückkehr von meiner letzten Tour liege ich krank im Bett. Ehrlich gesagt empfinde ich es als Affront, als einen dieser fiesen, hinterhältigen Plottwists des Lebens, dass ich, die in den letzten Wochen mit Ausnahme der regelmäßigen Therapiesitzungen, während derer ich zu mehr zwischenmenschlichen Kontakten aufgefordert werde, und abgesehen von wenigen Flugeinsätze niemand in persona treffe, dass ich mir jetzt also Corona eingefangen habe. Flirt heißt die aktuelle Virusvariante angeblich. Alles womit ich in den vergangenen Wochen geflirtet habe, war meine Bettdecke. Selbst in Osaka regnete es übrigens letzte Woche in Strömen – woanders ist es also auch nicht schöner. Der Crewausflug fand dann ohne mich statt. Ich hielt mich lieber 48 Stunden in einem auf 19°C wohltemperierten Zimmer auf. Früher wäre solch ein Rückzug einer Bankrotterklärung gleichgekommen. Existentielle Insolvenz, denn es galt, so viel wie möglich zu erleben, zu sehen, zu unternehmen. Ein maximiertes, optimiertes Leben. Heute bringt es mich wohl deswegen nicht mehr aus der Fassung, weil ich in jüngster Vergangenheit so viele Tage völlig untätig habe vorbeigehen lassen, weil ich so viele Nächte schlecht schlafe, weil angehende Sommertage inzwischen Angst vor hohen Temperaturen und verschwitztem, unruhigen Schlaf machen. So kann ich selbst dem längeren Aufenthalt in einem klimatisierten Raum ohne besondere Vorkommnisse etwas Positives abgewinnen. Auf dem Rückflug setzten die Halsschmerzen ein, daheim in der Nacht dann das Fieber.

Es hat was mit mir gemacht, diese Zeit der Untätigkeit. Ich bin ehrlicher mit mir geworden, kompromissloser und reduktiver. Schlagworte tun nichts für mich – Depression, Trauma, Trigger bleiben an der Oberfläche – langatmige Erklärungen aber auch nicht. Meine eigenen Strategien haben nicht mehr geholfen, noch weniger funktionierten Medikamente, dafür aber eine sehr professionelle Therapeutin. Nebenbei ist diese Therapeutin auch noch erfahren, warmherzig, geduldig, klug und schön. Ich darf idealisieren, denn wenn mein Kopf zu kritisch wird, habe ich das Ziel bereits um Längen verpasst. Wenn ich also im senfgelben Praxissessel mit den hohen Armlehnen sitze und spezifiziere, fällt mir wieder ein, dass ich es auch bleiben lassen und einfach vertrauen kann, weil ich der bestmöglichen und professionellsten Person gegenübersitze. Natürlich ist sie das nur in meinem eigenen Beurteilungsrahmen. Wenn ich mir aber vorstelle, wie viel Zeit ich in meinem Leben damit vergeudet habe, sehr akkurate Ich-Botschaften zu formulieren, aus Angst, sonst falsch verstanden und in Konsequenz weniger gemocht zu werden, macht diese positive Annahme durchaus Sinn. Noch nie in der Geschichte der Menschheit wurden Konflikte vermieden, weil es eine*r akkurater formuliert hat. Ich denke, wir sollten alle ein wenig mehr idealisieren (fangirlen?) und dabei das Geschehen unabhängig von der eigenen Befindlichkeit betrachten. Dem Gegenüber mehr zutrauen, dem Leben mehr vertrauen. Wenn’s schief geht, war’s bestimmt schon vorher schräg.

So easypeasy wie sich das liest, so schwierig war’s bis hierhin. Mein langes Tief – und es war dieses Mal echt tiefer als ich jemals unten war – gipfelte in einer unglücklichen Arbeitssituation. Bis zu jenem Flug um die Weihnachtszeit hatte ich mich mehr schlecht als recht durchgehangelt, mit großem Kraftaufwand meine Befindlichkeit weggedrückt und Pflichten erfüllt oder wie ich es vor mir formulierte: ich gebe immer 100%. Dass dabei 80% Kraft für’s Wegdrücken draufgehen, war nicht mit eingerechnet. Nach den Flügen jeweils kleine Zusammenbrüche, viele Tränen, viel Elend. Erholungsphasen gab es keine. Bis zu jenem Flug, nach dem ich mir sehr sicher war, nie wieder ein Flugzeug betreten zu wollen. Ein Kapitän mit Selbstdarstellerqualitäten und Führungsdefiziten, eine unreflektierte Mitläufercrew, unglückliche Umstände. Ich wurde angegriffen ohne Ausweichmöglichkeit – in einem Flugzeug, wo selbst die Toiletten zu klein und zu wenige sind, kann man sich einfach nicht zurückziehen. Die Folgen reichten bis in die Weihnachtsfeiertage. Da brachen meine Dämme.

Es vergingen viele Wochen im senfgelben Sessel, bis ich wieder ein Flugzeug betrat und noch mehr bis das Fuck it in meinem Kopf seine ungebremste Aggression auf alles und jeden – vor allem auf mich selbst – verloren hatte. Ich musste quasi wieder gesellschaftsfähig werden. Und dieses Ding, bei dem man sein Gerechtigkeitsempfinden schluckt und sich entschuldigt – wir nennen es Serviceorientierung – das funktioniert nur mit einem achselzuckenden Fuck it. Die ersten waren sozusagen Testflüge, wobei man schlecht testen kann, wenn man 12 Stunden auf kleinem Raum weggesperrt ist. Da hilft es nicht, nach ein paar Stunden zu sagen, ich hab’s mir anders überlegt. Solch ein Konzept denken sich Leute im Krankenkassenbüro aus. Jedenfalls gingen die ersten drei, vier Flüge gut. Ich konnte mein Selbstvertrauen neu aufbauen. Und dann war da noch die Sache mit dem Karma. In der Wiedereingliederung durfte ich nämlich nicht krank sein. Als ich meine Vorgesetzte darauf ansprach, was im Falle eines erneuten Aufeinandertreffens mit selbigem Kapitän und mir zu tun sei, meinte sie, so viel Zufall könne es gar nicht geben und ich sei gerade verständlicherweise halt auch ein wenig negativ oder wie man das nenne, wenn die schlimmste Angst einträfe. Was soll ich sagen, auch ich hätte nicht mit der statistischen Wahrscheinlichkeit von 0,01 gerechnet als ein bestimmter Name auf der Crewliste meines zweiten Testfluges auftauchte. Meine Entscheidung, nicht auszuweichen, brauchte drei ganze Therapiesitzungen. Zwei Tage vor Flugantritt fühlte ich mich bereit für eine Gegenüberstellung. Noch während ich meine imaginären Waffen und Werkzeuge auf Papier kritzelte, war der Name auf einmal verschwunden. Sowas nenne ich gelungenes mentales Training.

Es ist derzeit nicht alles gut aber es geht tendentiell aufwärts. In der Vorstellung linear, in Wirklichkeit sehr verworren und schlecht nachvollziehbar, man kennt das. Erwähnenswert für Aussenstehende ist vielleicht noch der ein oder andere subjektive Eindruck. Als es sehr schlimm war, da reichte die Kraft nicht einmal mehr für’s Beantworten von Nachrichten. Ich las gelegentlich in Blogs oder anderen Kurznachrichtplattformen und hätte gerne geschrieben, doch dann wusste ich nicht mehr was ich tippen soll. Dass ich Kommentare nicht beantwortet oder gar sehr spät freigeschaltet habe, lag daran, dass ich oft tagelang nichts gelesen oder dann nicht fähig war, zeitnah zu reagieren. Ich habe drei Postkarten von einer lieben Person (you know who you are) erhalten, und auf eine konnte ich überhaupt nicht reagieren, obwohl ich mich darüber wirklich sehr gefreut habe. Das hat lange in mir gearbeitet. Ich hatte damals den Eindruck, nur durch Leistung anerkannt zu werden – ich schreibe also bin ich in diesem Internet, ich schreibe nicht, also existiere ich nicht. Diese kleinen Stücke beschriftetes Papier haben mich eines besseren belehrt.

Manchmal sind wir solche Opfer unserer eigenen Erwartungen. Eine Reziprozität, die, wenn sie sich nicht einstellt, als Beweis für Interesselosigkeit des Gegenüber gewertet wird. Annahmen, Einschätzungen, alles in unserem Kopf aus dem Misthaufen negativer Erfahrungen gewachsen. Das braucht entweder viele Stunden in senfgelben Praxissesseln oder einen Vorsatz. Mehr tun und weniger annehmen, mehr Fuck it’s mit oder ohne Achselzucken und mehr Trotzdem’s, vor allem aber mehr idealisieren und weniger formulieren. Es ist in Ordnung, nicht in Ordnung zu sein. Ich werde auch in naher Zukunft nicht regelmäßig schreiben, versuche es aber öfter. Meine Erfahrungen werden nicht poetisch hochglanzformuliert oder humoristische Meisterleistungen sein (waren sie das jemals?) dafür aber echt. Kurzum, ich würde hier gerne wieder mitspielen, okay?

12 Gedanken zu „It’s Okay Not to Be Okay“

  1. Schön, von Ihnen zu lesen. Manchmal ist das regelmäßige Ein- und Ausatmen das einzige Tagesziel.
    Gut, dass jetzt schon wieder etwas mehr geht.
    Ich schicke gute Gedanken!

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