Foreign Country

Unsere Crewhotels sind luxuriös, keine Frage. Wenn ich aber für die Suche der richtigen Schalter für Licht und Temperatur mehr Zeit brauche als für’s Entkleiden und Auspacken zusammen, dann spüre ich Unmut in mir aufkommen. Zugegeben, ich suche ohne Kontaktlinsen, ich will ja so schnell wie möglich ins Bett. Am Eingang ist ein Master-Schalter, der alles sofort schwarz macht. Ich möchte aber nicht blind über den Rand des Indoorpools oder Bodenunebenheiten stolpern und auch sonst bei nächtlicher Orientierungslosigkeit sofort einen Lichtschalter an meiner Seite wissen. Nach zwei Stunden wache ich schweißgebadet bei 26° auf. Auch die Klimaanlage wird hier in China zentralgesteuert. In den wenigsten Hotels lassen sich noch Fenster öffnen. Vermutlich passiert einfach zu viel, Menschen werfen Dinge oder sich selbst von hohen Stockwerken, jedenfalls gibt es seit vielen Jahren ab dem 2.Stock nur noch Lüftungsschlitze. Die haben vorwiegend psychologischen Wert, denn die Kraft der Heizung verdrängt erfolgreich homöopathische Mengen an Frischluft. Ich fühle mich, als müsse ich ersticken, kleide mich an, fahre hinunter und gehe vor die Türe. Mein Körper möchte schlafen, sehr gerne in kühlerer Luft. Als es draussen bereits dämmert, können der Hotelmitarbeiter und ich einen Sieg über das Raumklima verzeichnen. Dann geht die Sonne auf und erhitzt frontal die große Scheibe hinter den Vorhängen. Nach ein paar Stunden bin ich soweit, eine Gewerkschaft für Brathähnchen hinter Schaufensterscheiben zu gründen.

Irgendwann gegen Nachmittag stehe ich völlig gerädert auf. Ich muss was zu Essen organisieren. Ein Supermarkt findet sich fußläufig. Zunächst bin ich vom Sortiment beeindruckt, um nicht zu behaupten motiviert. 30 Minuten später sieht die Gesamtsituation schon anders aus. Weder mit chinesischen Schriftzeichen noch den aufgedruckten Bildern kann ich viel anfangen. Später wird sich so Manches als geschmacklich irritierend herausstellen – vermutlich salziges entfaltet beim Verzehr eine ungeheuer süße Note und andersrum. Als ich an den kleinen Becken vorbeilaufe, aus denen sich die Kundschaft ihre Meerestiere selbst herausfischt, wächst mein Unmut ins Unendliche. Ich eile mit ein paar Nüssen und einem Getränk zur Kasse, doch dort möchte man weder meine Kreditkarte noch mein Bargeld. An vielen Stellen wird in China Bezahlung nur noch per App akzeptiert. Mein Handy bleibt aber im Ausland auf Flugmodus, eine zweite AuslandsSIMKarte besitze ich nicht und eine App möchte ich auch nicht installieren. Also mache ich mich auf die Suche nach dem nächsten Bedarfsartikelladen an der Hauptstraße. Hatte ich eigentlich erwähnt, dass ich müde bin?

Auf der Straße das übliche Chaos aus Autos, Mopeds, Radfahrern und Fußgängern. Alles was auf zwei Rädern rollt, darf überall fahren. Auch auf den schmalen Gehwegen. Die Richtung ist dabei egal. Ich schlängle mich vorbei an Menschen, die auf Handys starren, weiche Mopeds aus, stolpere und beneide den flauschigen Chowchow, der in seinem Wägelchen vor Verletzungen sicher geschoben wird. Hunde gibt es inzwischen sehr viel mehr in Shanghai – möglicherweise eine Folge der Pandemie. In einem der kleinen Läden hole ich ein paar Sachen vom Regal. Natürlich auch hier mit Schwierigkeiten bei der Auswahl. Englisch wird kaum bis gar nicht gesprochen. Das war schon immer so. Meine ersten Male in Asien fand ich alles viel zu abenteuerreich, um mich daran zu stoßen. Heute bin ich einfach nur müde, genervt und möchte zurück in mein Bett. In solchen Fällen zahlt sich gutes Marketing aus, denn Coladosen sind auch hier rot und der Schriftzug international. Eigentlich mag ich kein Cola, noch weniger aber Experimente. Nicht wenn ich müde bin. Ich bezahle in bar. Noch vor 2 Wochen waren meine großen Scheine etwa 5% mehr wert als heute. Das erfahre ich aus dem Internet im hoteleigenen W-Lan. Man könne hier sogar Insta und Facedings empfangen, wurde uns bei der Ankunft stolz erklärt. In China wahrlich keine Selbstverständlichkeit. Ich habe vor Abflug noch einen VPN heruntergeladen und kann damit über WA telefonieren. Das hilft bei erschöpfungsinduziertem Heimweh.

Inzwischen funktioniert die Klimaanlage besser. Am nächsten Morgen frühstücke ich im Hotel. Am Buffet stehen kleine Schildchen mit englischen Bezeichnungen vor den Speisen. Was ich nicht bekomme, ist ein Teelöffel für meinen Kaffee. Alles nur Kleinigkeiten, mit denen ich mich abfinde, die mir die Abreise aber umso schmackhafter machen. Die meisten Sehenswürdigkeiten habe ich in der Vergangenheit besucht, die Märkte sind mir zu umtriebig, vielleicht könnte ich mal zur Abwechslung im Zoo Pandas schauen gehen. Am Wochenende und mit coronabedingten Einschränkungen der Öffentlichen Verkehrsmittel aber ein gewagtes Unternehmen. Die Straßen sind zu jeder Tages- und Nachtzeit mit Autos verstopft. Vom Flughafen braucht unser Bus für eine relativ überschaubare Entfernung mehrere Stunden. Ich verwerfe den Gedanken und genieße stattdessen einen kleinen Spaziergang zwischen Bambuswäldern im nahegelegenen Park. Danach lege ich mich schlafen, denn auf dem Rückflug werde ich die ganze Nacht wach bleiben müssen. Vor dem Hotel findet ein Familientag statt. Die Geräuschkulisse dringt durch den Lüftungsschlitz meines Zimmers. Also Fenster und Vorhänge zu, Klimaanlage auf Minimum. Dann träume ich, ich würde den Zeitpunkt der Abfahrt verschlafen und wache schweißgebadet auf.

So ein Städtetrip mag für Manche*n eine verlockende Begleiterscheinung meiner Arbeit sein. Für mich stellt es sich gelegentlich anders dar. Vor allem, wenn ich müde bin. Schlafentzug als Foltermethode, ich kann’s mittlerweile nachvollziehen. Zumindest weiß ich, dass es nicht immer so sein wird, dass ich beim nächsten Mal wieder ausgeschlafener, offener für neue Eindrücke und durchaus dankbar für diese Gelegenheiten sein werde. Deswegen bin ich heute gelassener als früher. Ich freue mich auf mein eigenes Bett und für die Kolleg*innen, die aus ihrem Kurzaufenthalt in der Ferne alles rausgeholt haben. Auf ihre Fragen antworte ich, ich hätte während unseres Layovers einfach ausgeruht. Dann nicken alle wissend, denn eigentlich hat das Jede*r schon so erlebt.

2 Gedanken zu „Foreign Country“

  1. Spannend. Ich glaub das Hotel kenne ich. Bin mal bei einem HongKong—München-Flug aufgrund technischer Probleme in Shanghai gelandet, vielstündige Odyssee (die damit begann dass niemand an Bord ein Visum für das eigentliche China hatte) und endete in einem freundlichen Hotel (dessen Foto mir gerade extrem bekannt vorkommt). Insofern kann ich „sehr anstrengend“ gerade an dem Ort ganz hervorragend nachvollziehen.

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  2. Sieht riesig groß aus, das Zimmer… so viel „Verkehrsfläche“. Wenn ich da an Hotelzimmer hierzulande denke… so oft auf Platzersparnis angelegt. Dafür braucht es dann wohl ein paar Wolkenkratzer. Jetzt haben wir wieder einen Einblick in die anstrengende Seite bekommen. Aber es gibt ja vielleicht, abgesehen von der Bezahlung, auch Highlights.

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