Onehundredandsix

Früher dachte ich, bestimmte Gegenstände würde man nur einmal im Leben kaufen, Scheren, Messer solche Dinge eben, die eigentlich nicht leicht zerstörbar sind. Erst mit der eigenen Anschaffung begriff ich das Prinzip der Vergänglichkeit und fand es sofort doof. Heute sitze ich wieder in dieser Wohnung, in der mir dieses und weitere Prinzipien am praktischen Beispiel klar wurden. Es ist kühl da in dieser Wohnung und gleichzeitig düster, denn die Vergänglichkeit bezieht sich nur auf Lebendiges und Nutzbares. Gefühle sind seltsame Gebilde, die durch eine einzige Erinnerung sofort wieder zu leben beginnen. Und obwohl über 30 Jahre vergangen sind, drückt die Erinnerung auf mein Gemüt als sei alles gerade erst geschehen. Dazu braucht sie nur ein paar Wände, schräg einfallendes Licht, gedämpfte Stimmen und Schritte, das typische Knarzen einer Türe, eine fast unheimliche Stille. Ich bin viel zu wund, um mich davor zu schützen. Die Angst schüttelt mich, doch kann ich nicht vor ihr fliehen, denn die nehme ich mit. So muss es sich anfühlen, besessen zu sein.

Woher meine innere Düsternis kommt, frage ich mich. Gleichzeitig beobachte ich sie ausserhalb meiner selbst. In denen, die ich mein Leben lang kenne, in der Art wie sie mit mir und anderen umgehen, wie sie reden, sich geben. Ich bin nicht defekt, ich habe nur Dinge erlebt, die mich verwundbarer machen und vorsichtiger, die mich mehr denken und fühlen lassen als ich es möglicherweise ohne sie täte. Kommt mir nicht mit Dankbarkeit und mit Lernerfahrung. Diese Scheiße habe ich nicht gewählt. Und doch muss ich damit umgehen. So ist es gerade in Ordnung, dass ich nicht lache, dass ich nicht die unterhaltsame Gesellschaft bin und die motivierende Vorgesetzte. Meine Hundert Prozent sind gerade nur Dreissig. Das akzeptiere ich mal eine Zeit, schreibe mir innere Entschuldigungen für mein Fehlen bei Gesprächen oder Zusammenkünften, die sich nicht vermeiden lassen. Überhaupt sollte man sich viel mehr Entschuldigungen ausstellen. Wozu sind wir schließlich erwachsen? Das – und vielleicht noch der Führerschein – war zu meiner Zeit die einzig gute Auswirkung von volljährig werden.

Manchmal möchte ich von vorne beginnen, ein andermal hätte ich es gerne schnell hinter mir. Die Schulzeit, das Studium, das Leben. Alles fühlt sich chaotisch an. Es geht nicht um’s Ankommen, sondern um den Prozess. Lalala, ich will das nicht mehr hören. Na schön, nächste Woche kaufe ich eine neue Schere. Mal sehen, wie lange die hält; mal sehen, wie lange ich halte.

5 Gedanken zu „Onehundredandsix“

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