Onehundredandthirtyeight

Heute bin ich mal wieder in einem dieser Internetwurmlöcher verschwunden. Es begann mit einem Artikel über die Olympischen Spiele 1972 in München, aus dem ich unnützes Wissen erwarb – beispielsweise gab es einen amerikanischen Läufer, der den Beginn seines Wettkampes verschlief – aber auch vieles über den Verlauf des Attentat erneut las.

Vor ein paar Tagen Wochen entschwand ich über einen Hinweis bei Herrn Buddenbohm in die Welt der Dornenvögel. Der Artikel führte dazu, dass ich ein paar Ausschnitte und schließlich den ganzen letzten Teil der vierteiligen Serie ansah. Aus heutiger Sicht mögen wir über manche Darstellung von damals lächeln. Mich interessierte allerdings mehr, was mich zu jener Zeit so sehr an der Serie faszinierte. Nein, es war weder Körper noch Gesicht von Richard Chamberlain. Ich identifizierte mich damals mehr mit der nächsten Generation, nämlich mit Maggies Tochter, der zynischen, wortgewandten, distanzierten Justine, die im Grunde nichts mehr als von ihrer emotional abweisenden Mutter geliebt werden möchte. Im Film passiert natürlich ganz am Ende die große Versöhnung zwischen Mutter und Tochter. In der Realität wäre sowas, nunja, relativ unwahrscheinlich. Denn wenn die Mutter ihr ganzes Leben emotional abweisend war, weil die wiederum von ihrer eigenen Mutter genauso behandelt wurde, dann führt solch eine momentane Erkenntnis bei einem Menschen realistischerweise nicht zu überbordenden Liebesbekundungen oder kompletter Verhaltensänderung.

Dieses so durchschaubar inszenierte Theater warf mich emotional um fast vierzig Jahre in die Vergangenheit zurück – ganz ohne Zeitmaschine, dafür mit sehr vielen schmerzlichen Erinnerungen, auf die ich nicht näher eingehen möchte. Was mich allerdings immer wieder erstaunt, ist mein damaliges Erkennen der Sachlage. Während sich in meinem Kopf sehr früh ein sehr klares Bild abzeichnete, geschah in meinem Inneren eine Abkapselung von all dem, was nicht sein durfte, weil die Konsequenz einem emotionalen Super GAU gleichgekommen wäre. Und so verbrachte ich die nächsten vierzig Jahre damit, meine Erkenntnisse in quasi homöopathischen Dosen in mein Bewusstsein zu träufeln, um einen overload zu verhindern. Sinngemäß habe ich mich vierzig Jahre über einen Gefühlszustand in immer neuen Varianten gewundert, obwohl sich das Szenario so unverkennbar vor meinen Augen abspielte. Im Grunde brauchte ich ein Leben, um letztlich die Erkenntnis über das Scheitern zu integrieren. Griechische Tragödie quasi in Echtzeit und das Internet als mein Deus ex machina.

2 Gedanken zu „Onehundredandthirtyeight“

  1. Es ist schlimm, dass man so lange braucht. So viel vertane Zeit. Andererseits, vielleicht war das gerade der Sinn des Lebens bis hierher, diese Erkenntnis des Scheiterns. (Wie sagte eine böse, aber kluge Frau: Der Weihnachtsmnn kommt nur einmal im Jahr und nicht zu jedem.) In der Hoffnung, dass noch etwas Gutes nachkommt, Grüße aus München nach München.

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  2. Man hätte alles früher sehen können, denke ich immer. Alle Bauteile waren da und sichtbar. Doch begreift man es erst mit den Jahren. Vielleicht lässt man nur so viel zu, wie man es aushält. Und den Rest verdrängt man.
    Das ist nicht schlimm. Man muss ja weiter leben.

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