Workday – Teil 1

Vielleicht interessiert es Sie ja, was hinter den Kulissen passiert. Deshalb nehme ich Sie heute mal mit auf einen typischen Arbeitstag einer leitenden Flugbegleiterin vor einem Langstreckenflug.

Takeoff – 300

Wenn der Flug früh beginnt, habe ich meine beiden Koffer bereits am Vorabend gepackt – einen mit Kleidung und Utensilien für den Hotelaufenthalt, genannt Layover, und einen kleinen mit allem, was ich so an Bord brauche, also flache Schuhe zum Wechseln, eine uniformgerechte Strickjacke, Ersatzstrumpfhosen, eine Uniformbluse, ein paar Schminkutensilien, Zahnbürste, eine Flasche Wasser, Schmerztabletten, Plastikbesteck, Teebeutel, Adapter, eine mobile Tastatur, Schreibgeräte und leere Blätter, meinen persönlichen Ordner mit Ansagentexten und Briefingunterlagen, ein paar Eddings und Geschenkartikel für überraschende Anlässe wie etwa Verabschiedungen im Kollegium, Plastiktüten, Kofferlabel, Drahtplomben und Ladekabel. Da stecken auch noch einige andere Sachen drin, die ich entweder zu entnehmen vergaß oder aber zum Standardinventar gehören (Flaschenöffner, Postkarten, Salatdressing, Googly Eyes, you name it

Nachdem ich geduscht, geschminkt und angezogen bin, ergänze ich die Uniformhandtasche mit Brille, Geldbeutel, einen zweiten Geldbeutel für Devisen, Dienst- und privates Handy sowie das dienstliche Ipad, das ich bereits zuvor aktualisierte. Dann überprüfe ich, dass sich neben dem üblichen Kram wie Ohrstöpsel, Kugelschreiber, Kontaktlinsenflüssigkeit und Warnweste, mein Reise- und Impfpass, Firmenausweis sowie alle weiteren wichtigen Dokumente noch in der Tasche befinden.

Takeoff -240

Ich mache mich per U-Bahn auf den Weg zum Einsatzzentrum. Mit zwei Rollenkoffern bin ich immer froh, wenn es nicht regnet. Für einen Schirm habe ich keine zusätzliche Hand frei und der Uniformmantel keine Kapuze.

Takeoff -180

Beim ÖPNV rechne ich mit Verspätungen, weshalb ich immer mit Zeitpuffer im Einsatzzentrum erscheine. Dort melde ich mich digital zum Dienst, stoße ein weiteres Update in der Flugapp an, der ich neben allen wichtigen Informationen rund um Flugzeug (was ist heute kaputt), Passagiere (Namen, Sitzplätze, Anschlussflüge, Betreuungsanfragen, Sonderessen etc.) und Crew (Namen, Seniorität, Sprachkenntnisse, Sonderqualifikationen) auch Länderbestimmungen und gesetzlich vorgeschriebene Ansagen oder Serviceabläufe und Techniktipps entnehme und bereite mein Briefing vor. In meiner Jobbeschreibung steht, dass ich zunächst aus 13 sich fremden Menschen innerhalb von 20 Minuten ein Team bilden soll und ihre Notfallkenntnisse überprüfen. Zudem verändere ich den streng reglementierten Serviceablauf bei ungleicher Klassenverteilung der Passagiere, aussergewöhnlichen Bedürfnissen oder besonders kurze Flugzeit in Kombination mit Gewährleistung der gesetzlich vorgesehenen Mindestpausenzeit für die Crew, auf sinnvolle Weise. Folglich muss ich mich vorab über alles informieren. Das kann bei der Menge an Information gerne mal länger als 30 Minuten dauern. Verfahrensänderungen oder neue Vorschriften habe ich mir bereits am Tag zuvor angeeignet. Wohlgemerkt haben alle Flugbegleitenden ebenfalls ein kleines Ipad zum selber nachlesen, das aber bei Fragen meist nicht genutzt wird (Hallo Frau Kaltmamsell beim Telefondienst). Mein indianischer Name als Vorgesetzte lautet: Die alle Antworten hat. Wenn zu diesem Zeitpunkt überraschend was mit der digitalen Technik schief läuft, kann ich mich an die örtliche IT wenden. Danach bin ich ohne funktionierendes System quasi nur eine stark eingeschränkte Intranetsprachausgabe. Die örtliche IT ist gelegentlich auch ratlos und zuckt lächelnd mit den Schultern.

Takeoff -130

Auftritt zweite Person im sogenannten Führungsteam: meine Stellvertretung. Diese Kolleg*in ist mir disziplinarisch untergeben, hat im Gegensatz zu mir eine volle Serviceposition aber Weisungsbefugnis in ihrem Klassenteam – wenn ich das zulasse. Der Satz hört sich erst mal doof an. Wer aber jemals mit einem Führungshonk zu tun hatte, kennt die Leiden aller Angestellten. Wenn sich meine Stellvertretung nicht innerhalb der ersten Minuten als Hoschi herausstellt, stärke ich ihre Position mit Vertrauen und Handlungsspielraum. Wir stimmen uns kurz über Führungsstil und weiteres ab, bevor wir uns in den Briefingraum begeben, wo bereits die restliche Crew wartet.

Takeoff -110

Das Briefing beginnt nach der Begrüßung aller Crewmitglieder. Jetzt, wo Corona vorbei ist (sic!) schüttelt wieder jede*r jede*m die Hand. Dafür kenne ich keinen adäquaten Ersatz. Im Flugzeug werden wir uns auf engem Raum viele Male versehentlich oder bewusst berühren. Der erste Körperkontakt über die Hände überwindet eine psychologische Schwelle, die in jüngster Vergangenheit für Distanz sorgte. Danach eröffne ich mit einleitenden Worten, die Arbeitspositionen in den einzelnen Klassen werden nach Seniorität oder Qualifikation gewählt und dann stelle ich Fragen, viele Fragen, auch Fangfragen, denn ich möchte Wissenslücken schließen. Jedes Crewmember besitzt diverse Musterqualifikationen, d.h. wir werden im Lehrgang mit einem bestimmten Flugzeugmuster vertraut gemacht, damit wir im Notfall wissen, wo sich die Ausrüstung befindet und was jeweils zu tun ist. Jedes Jahr wird dieses Wissen schriftlich und praktisch geprüft. Erst nach bestandener Prüfung sind wir als Flugbegleitung qualifiziert, auf diesem Flugzeugmuster zu arbeiten. Was nämlich Manche immer noch nicht wissen, ist, dass wir nur Passagiere bedienen solange nichts brennt oder kracht. Die Gesetzgebung sieht vor, dass pro 50 Fluggästen eine zur Evakuierung qualifizierte Person an Bord sein muss, damit alle Anwesenden innerhalb von 90 Sekunden nach Wums aus dem Aluminiumrohr raus sind. Haben Sie mal Menschen beim Öffnen einer normalen, möglicherweise beschrifteten Türe beobachtet? Haben Sie mal eine Flugzeugtüre genauer inspiziert? Eben. Meine Crew kennt natürlich die üblichen Verfahren und Abläufe, weswegen ich die Antworten nur moderiere und mein gewähltes Thema ein wenig anreichere. Auch Erste Hilfe wird im Flugalltag immer wichtiger. Generell qualifizieren wir uns jährlich auch als Ersthelfende, einige Kolleg*innen besitzen weitere Qualifikationen als Pflegepersonal oder Rettungsassistenz, ich selbst bringe das Wissen aus 15 Staffeln Grey’s Anatomy ein.

Zum Schluß richte ich die allgemeine Aufmerksamkeit auf die innere Einstellung zu Mitreisenden, arbeitenderweise oder als Gast. Den Ton habe ich bereits in den ersten Sekunden durch Auftreten, Wortwahl und nonverbale Signale gesetzt. Was ich an dieser Stelle erzähle, ist zweitrangig, denn die Crew weiß schon, wie ich ticke und was sie im Team erwartet. Es gibt sehr viele, kleine Signale, die auch ich von den Mitarbeitenden aufgenommen habe und die mir ein erstes Bild der einzelnen Personen vermitteln. Diese Beobachtungen werde ich im weiteren Verlauf überprüfen oder bei einem späteren Vieraugengespräch heranziehen. Kommt selten vor, da im Regelfall alle ihren Aufgaben gut gelaunt entgegensehen. Der Kapitän ergänzt nach mir mit Informationen zu Flugzeit und -route, zu erwartende Turbulenzen, Wetter am Zielort und beschließt das Briefing mit einer Einladung zum Feierabenddrink nach der Ankunft. Kleiner Scherz, denn meistens zahlen wir den Drink selbst.

Takeoff -85

Wir passieren mit unserem Gepäck die Crewsicherheitskontrolle und steigen in den Bus, der uns über das Vorfeld zum Flugzeug bringt. Hier zähle ich das zweite von vielen Malen, ob auch alle anwesend sind. Am Flugzeug stellen wir die Koffer ab, die in einen gesonderten Frachtraum verladen werden und gehen über Treppen an Bord. Noch bevor ich den Flieger betrete, habe ich bereits mehr als 1,5 Stunden Arbeit geleistet, die jedoch als Arbeitszeit nur bei gravierender Abflugverspätung angerechnet wird. Offiziell beginnt die Uhr erst mit off-blocks zu laufen, d.h. wenn sich die Räder am Fahrwerk in Bewegung setzen.

Teil 2 folgt …

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