Workday – Teil 3

Wie das hinter den Kulissen eines Langstreckenfluges abläuft Teil 1 und Teil 2

Touch Down -40

Der Kapitän macht eine Ansage an die Gäste, die Crew räumt letzte Reste des zweiten Essensservice in der Kabine ab. Das ist für mich das Zeichen, dass in 10 Minuten die Anschnallzeichen angehen und wir uns auf die Landung vorbereiten müssen. Bei einem Nachtflug scheue ich mich, die Menschen mit grellem Licht zu Beginn des zweiten Service zu wecken. Leider geht es aber nicht ohne. Der Legende nach schimpfte einst ein Gast: „Switch off that fuckin‘ light!“ worauf die Flugbegleiterin erwiderte: „I’m sorry Sir, you missed the fucking light, this is the breakfast light“. In manchen Flugzeugtypen haben wir sogenannte Lichtszenarien gespeichert, die nach dem ersten Service einen orangefarbenen Sonnenuntergang simuliert und vor dem zweiten die Kabine zu einem blauen Kühlschrank werden lässt. Leider ist das Programm nicht zu unterbrechen, weshalb ich die grellen Leuchtmittel erst nach Erreichen der 100% wieder herunterdimmen kann. Ich entscheide mich also normalerweise für ein sanftes Erhellen, was bedeutet, dass ich händisch jede Zone einzeln in 4% Schritten regulieren muss und dafür bis 67% mindestens fünf Minuten den Durchgang zwischen Panel und Küche blockiere, während sich die Kollegin hinter mir mit Gläsern und Tabletts durchquetscht.

Ab Ansage habe ich etwa 25 Minuten Zeit, mich von den Gästen in der höheren Klasse persönlich zu verabschieden, meine Arbeitsutensilien zu verräumen, die flachen gegen hohe Schuhe zu tauschen und nochmal im Cockpit nach dem Rechten zu sehen. Das tun wir übrigens während eines Nachtfluges häufig. Wer mal nachts lange Strecken auf schnurgerader Straße im Auto zurücklegte, kennt die Gefahr des Einschlafens. Für die Piloten gilt das ebenso, mit dem Unterschied, dass sogenanntes Napping im Cockpit für kurze Zeit tatsächlich erlaubt ist. Also Einer döst, während die Andere Anzeigen und Funk überwacht. Es könnte aber sein, dass auch der Zweite einschläft, weshalb sich die Kabinencrew in vereinbarten Zeitabständen versichert, dass der Flieger nicht unbeaufsichtigt in der Gegend rumfliegt. Keine Angst, das ist bisher auf keinem meiner Flüge passiert, soll aber bei sogenannten Billigairlines schon zu Katastrophen geführt haben.

Touch Down -30

Die Anschnallzeichen gehen mit einem hörbaren Bing an. Das scheint für viele Gäste ein Signal zu sein, nochmal die Toilette aufzusuchen. Aus diesem Grund vereinbare ich manchmal, das Einschalten einfach 10 Minuten vorzuverlegen. So viele Toiletten haben wir nämlich nicht für alle Gäste, die jetzt dort anstehen. Diese Vereinbarung ist natürlich völliger Humbug, denn die Anschnallzeichen bedeuten offiziell hinsetzen und anschnallen! Auch für uns. Die Wirklichkeit sieht aber anders aus – verraten Sie mich also bitte nicht. Ab diesem Zeitpunkt ist das Cockpit steril, d.h. jetzt sind die Pilot*innen nur noch im Notfall ansprechbar, weil sie sich ungestört auf die Landung vorbereiten. Manchmal huscht noch ein Crewmitglied zur Landung auf einem freien Cockpitsitz nach vorne. Die Sicht ist dort einfach besser und der Anflug auf manche Flughäfen spektakulär. Ich bin durch meine Position davon leider ausgenommen, habe aber früher am liebsten dem Anflug auf den alten Flughafen in Narita beigewohnt. Zudem müssen alle Türen zur möglichen Evakuierung besetzt sein, weshalb die freie Position von einem anderen Crewmember besetzt wird, das nur eine Serviceposition inne hatte. Ich weise die Gäste in einer Ansage darauf hin, dass sie ihren Krempel jetzt wieder verstauen und sich anschnallen sowie Sitze in eine aufrechte Position gefahren und die Sonnenblenden an den Fenstern geöffnet werden sollen. Danach überprüft die Crew, dass das auch befolgt wurde bevor sie die Kabine klarmeldet. Von 300 Leuten haben schätzungsweise 50 diese Ansage geflissentlich überhört, nicht verstanden oder möchten nochmal persönlich angesprochen werden. Das wären bei einem Crash die Leute, die wir mühsam unter den Sitzen und über herumliegendes Gepäck zum Ausgang zerren müssten. Die Vorschriften lassen da glücklicherweise keinen Raum für Selbstverantwortung.

Touch Down -15

Cabin crew prepare for landing, so lautet mein Kommando für die Crew, sich nach dem Kabinencheck hinzusetzen und selbst anzuschnallen. Auch die Küchen sollen aufgeräumt und verknebelt sein, weshalb zu diesem Zeitpunkt auch die Kolleg*innen ihren eigenen Kaffee und Essensreste entsorgen. Wenn jetzt kein Gast mehr im Gepäck wühlend im Gang steht oder sich in der Toilette verbarrikadiert, melden die verantwortlichen Flugbegleitenden per Telefon die Kabine klar. Ich nehme die Anrufe entgegen, drücke nach allen Klarmeldungen einen digitalen Knopf über meinem Sitz, der die Klarmeldung in’s Cockpit überträgt und setze mich ebenfalls. Manchmal habe ich so lange gewartet, dass ich bereits sitze und zu drücken vergaß. Das kann nach einem langen Flug, nach dem mir die Füße weh tun, schon mal passieren. Dann ruft mich der Pilot an, weil der nur landen darf, wenn hinten auch alles klar ist. So gerne ich telefoniere, ist das nicht der Zeitpunkt für lange Gespräche. Die Erklärung liefere ich später ab.

Touch Down

Wie bereits vor dem Start, hat jedes Crewmitglied vor der Landung den thirty second review still absolviert. Wenn der Flieger abgebremst wurde, beginne ich meine Verabschiedungsansage. Manche Ansagen sind sowohl in Inhalt als auch Wortlaut obligatorisch, bei den restlichen spreche ich gerne frei. Da ich nicht immer dasselbe sagen will, kommen jetzt auch mal Versprecher vor oder Abweichungen zwischen deutschem und englischem Text vor. Meistens kriege ich die Kurve, manchmal auch nicht, was zur Folge hat, dass ich nach Gelächter oder Zwischenrufen aus den ersten Reihen nochmal neu ansetze. An mir ist wahrlich kein Conférencier verloren gegangen aber wenigstens auch keine leblose Bandansagerin. Immerhin hören zu diesem Zeitpunkt alle zu, weil sie nichts anderes zu tun haben. Zu Weihnachten singe ich schon mal über Lautsprecher oder kläre die Gäste über Besonderheiten auf.

An der Parkposition angekommen, werden die Triebwerke ausgeschaltet und die Crew mit der Ansage cabin crew all doors in park zum Aushängen der Rutschen aufgefordert. Wenn eine Türe vor dem Umstellen in park geöffnet würde, aktivierte das den Aufblasmechanismus der Rutsche. Sogenannte Rutschenabschüsse kommen bei Unachtsamkeit immer mal wieder vor und kosten nicht nur die Firma viel Geld, sondern bei angestellten Treppen oder Fluggastbrücken auch die Gesundheit der Flughafenmitarbeitenden draussen. So eine Rutsche hat nämlich mächtig viel Druck. Folglich überprüfe ich auf dem Monitor, dass auch wirklich alle Türen umgestellt wurden. Diese Ansage bedeutet übrigens nur für uns, dass wir aufstehen dürfen, veranlasst aber ein generelles Aufstehen und Gepäckwühlen in der gesamten Kabine. Klar, der Flieger steht, warum sollten die Passagiere nicht aufstehen dürfen? Ganz einfach, weil vielleicht irgendwas anders läuft als geplant. Weil vielleicht der Rettungsdienst oder Sicherheitskräfte ungehindert nach hinten müssen und das aus Gründen nicht angekündigt wurde. Vor vielen Jahren habe ich genau dieses Szenario erlebt. Da wurde ein Gast nach der Landung abgeführt, was wir nicht durch eine Ansage verrieten, um ihn nicht zu provozieren. Die Menschen nehmen zu diesem Zeitpunkt nur widerwillig nochmal ihre Plätze ein, das braucht schon einen Sturmtrupp in kugelsicheren Westen.

Ob die Türen geöffnet sind, erkennen Sie im Airbus übrigens an den gelben Lämpchen über den Sitzen, die dann leuchten. Irgendwann sind alle Passagiere ausgestiegen und alle Betreuungsfälle abgeholt. Manchmal kommt jemand zurück, weil er einen Hut oder Pass vergessen hat. Der darf nicht mehr rein, oft hat aber ein Kollege den vergessenen Gegenstand schon gefunden und bringt ihn zur Türe. Nach jedem Flug wird die Kabine abgesucht. Sollte niemand was Gefundenes vermissen, wird es den Stationsleuten übergeben und kann nachträglich bei Lost&Found angefordert werden. Wie die Koffer fliegen auch keine Sachen herrenlos durch die Gegend.

Wir gehen mit unserem Handgepäck von Bord, durch die Einreisekontrolle und nehmen unsere Koffer am Band in Empfang und passieren die Zollbehörde. Danach bringt uns ein Bus – je nach vorangegangener Flugzeit – für ein oder zwei Nächte in ein Vertragshotel. Nein, wir fliegen nicht sofort zurück, denn auch wir sind nach einem langen Flug müde und nicht mehr in der Lage, unseren gesetzlich geforderten Aufgaben im Falle einer Notsituation nachzukommen. Sie würden sich wundern, wie häufig uns diese Frage gestellt wird. Ich bin dann immer zwischen hysterischem Lachen und Weinen hin- und hergerissen. Wir sind auch nur Menschen, die jetzt nicht mehr lächeln und erklären, sondern möglichst schnell aus der Uniform raus und die Füße hochlegen möchten. Sollten Sie etwas von uns wissen wollen, dann warten Sie bitte auf den Zeitpunkt, wenn wir zum Rückflug am Gate eintreffen. Das ist nämlich ein gutes Zeichen, dass es bald los geht. Aber Achtung: Sie brauchen deswegen noch nicht aufstehen und sich zum Boarding anstellen. Wir haben vor Abflug ja noch ein paar Aufgaben zu erledigen, die in etwa 30 Minuten dauern, sollte das Reinigungspersonal noch an Bord sein auch länger. Lesen Sie doch einfach selbst im Teil 2 nach.

6 Gedanken zu „Workday – Teil 3“

  1. „(…) was bedeutet, dass ich händisch jede Zone einzeln in 4% Schritten regulieren muss und dafür bis 67% mindestens fünf Minuten (…)“ Das ist aber sehr engagiert und fürsorglich… und Weihnachtslieder!

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  2. Du singst an Weihnachten : wie schön :).
    Und dass die Piloten einnicken, hatte ich schon vermutet.
    Vor vielen Jahren haben wir mal zu Abend gegessen in einem Hotel in Westafrika. In einem Vertragshotel einer Airline [Beitrag von F.K. editiert], wie wir dann feststellten.
    Als eine Crew eintraf, lief eine Stewardess voll gegen eine Glastüre, so müde war sie.
    Die Reaktion der anderen war so verzögert, dass man davon ausgehen konnte, dass sie ebenfalls hundemüde waren.

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  3. Vielen Dank, fand ich sehr interessant zu lesen; klingt noch viel anstrengender, als ich immer vermutet habe.
    Eine Frage an Sie als Profi:
    Meine Tochter fliegt in ein paar Tagen zum ersten Mal, gibt es irgendetwas, was man erfahrungsgemäß für Kinder tun/nicht tun/mitbringen/nicht mitbringen sollte, wenn sie zum ersten Mal fliegen?
    Über eine Antwort würde ich mich sehr freuen, falls Sie Zeit haben und mögen. Vielen Dank!

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      • Vielen Dank – sie ist sieben und fliegt mit uns, also an sich kein besonderer Handlungsbedarf für irgendjemanden, denke ich. Keiner von uns Erwachsenen hat Flugangst, wir sind einigermaßen versierte Flugpassagiere und Eltern. Mich hätte nur interessiert, ob es Tipps „vom Profi“ gibt, die sich bewährt haben und an die man als unbedarftes Elternteil eher nicht so denkt.

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